Tödliches Rätsel
Chapler, Peslep, Ollerton und Elflain. Aber bei Chapler wurde kein Rätsel hinterlassen, und der Mörder betrachtet Elflain anscheinend nicht als sein viertes Opfer.«
Athelstan kniff den Coroner in die Wange. »Mein Lord Coroner — wie ein herabstoßender Falke! Die Kerlchen werden stolz auf ihren Vater sein.«
Sir John strahlte, aber dann verblaßte sein Lächeln. »Wieso ist es wichtig, Bruder?«
»Weil Ihr recht habt, Sir John: Der Mörder unterscheidet zwischen den Morden an Peslep, Ollerton und Elflain einerseits und dem ersten, dem Mord an Chapler, andererseits.« Athelstan setzte sich auf die unterste Treppenstufe und stützte das Kinn auf die Hand. »Sir John, könnte es sein, daß diese Schreiber vom Grünen Wachs in irgendeine Schurkerei verwickelt sind?«
»Zum Beispiel?«
»Fälscherei, Diebstahl, Erpressung?«
Cranston kratzte sich am Kinn. »Ihre Arbeit, Bruder, besteht darin, daß sie Lizenzen und Briefe schreiben. Das Siegel hat allein Master Lesures. Ich bezweifle, daß er sich in Schurkereien verwickeln lassen würde.«
»Könnten sie ein Siegel fälschen?«
Cranston zog die Brauen hoch. »Das ist schon vorgekommen, Bruder. Wir sollten zur Kanzlei hinuntergehen.«
»Das wäre ein vergeblicher Gang.« Athelstan tappte mit seiner Sandale auf den Boden. »Ich bin sicher, die Herren Alcest und Napham werden vorzügliche Angaben über ihren Aufenthaltsort machen können. Außerdem wette ich einen Krug Wein, daß sie alle wußten, an welchem Tag und zu welcher Stunde Master Elflain einen Besuch bei Dame Broadsheet zu machen pflegte. Ja, wir würden da nur unsere Zeit verschwenden. Die Rätsel interessieren mich jetzt mehr. Wir wollen sie uns noch einmal vornehmen.« Athelstan schloß die Augen. »>Mein erster ist wie aufgeblas’ne Pracht, die vorne knallt und hinten kracht<«, zitierte er. »Mein zweiter sitzt in der Mitte der Not und ist Inhalt des Grauens. Und mein dritter ist wie das Ende.« Er sah Cranston an. »Was ist die Mitte der Not, Sir John?«
»Wenn es keinen Rotwein gibt«, erwog der Coroner.
Athelstan lächelte. »Die Mitte der Not… ist damit vielleicht das Wort selbst gemeint? Aber natürlich.« Athelstan stand auf. »Das O sitzt in der Mitte des Wortes >Not<, und ohne das O hat das lateinische Wort für Grauen, >Horror<, keinen Inhalt. Und dieses Rätsel hat man bei Ollertons Leiche gefunden. Und was ist das Ende, Sir John?«
»Der Schluß…«, stammelte der Coroner. »Das Ende des Lebens.«
»Und >Ende< beginnt mit E, dem ersten Buchstaben von Elflains Namen. Pesleps Rätsel ist ein bißchen schwieriger, nicht wahr? Wie aufgeblas’ne Pracht — was fängt denn mit P an, Sir John?«
Ganz in das Rätsel vertieft, begann Athelstan auf und ab zu gehen.
»Wie aufgeblas’ne Pracht«, wiederholte er. »Das Rätsel bezieht sich unzweifelhaft auf ein P, den ersten Buchstaben von Pesleps Namen.« Athelstan stockte. »Das ist es, Sir John. Die aufgeblas’ne Pracht, das ist der Pomp, und dieses Wort beginnt und endet genau wie Pesleps Name mit P, einem Buchstaben, der >knallt und kracht<. Aber wieso das Spiel mit den Buchstaben? Diese Schreiber wurden offensichtlich in der Reihenfolge der Buchstaben P-O-E ermordet.«
»Poe?« sagte Cranston. »Aber so ein Wort gibt es nicht.«
»Ah, wir sind ja noch nicht fertig, nicht wahr, Sir John? Nepham und Alcest sind noch übrig. Fügen wir N und A hinzu, und was haben wir dann? >Poena< ist kein Name, aber auf Lateinisch bedeutet poena >Strafe<.«
»Strafe!« rief Cranston. »Der Mörder treibt ein Spiel mit seinen Opfern. Der erste Buchstabe ihres Namens ist in diesen Rätseln verborgen, und der Mörder bildet sich ein, er habe eine Strafe auszuführen. Aber wofür?«
»Eines ist klar«, sagte Athelstan. »Der Mörder hält alle diese Schreiber für schuldig — aber, wie Ihr schon sagt, worin besteht ihre Schuld? Und zwei weitere Fragen verdienen ebenfalls Aufmerksamkeit. Warum wird Chaplers Name nicht erwähnt? Er hat mit diesen jungen Männern zusammengearbeitet. Hatte er sich kein Verbrechen zuschulden kommen lassen?«
»Woher wissen wir eigentlich, daß Chapler tot ist?« fragte Cranston.
»Oh, Sir John, seid nicht töricht!«
»Ich bin nicht töricht, Mönch!« blaffte Cranston. »Da wird ein junger Mann aus der Themse gefischt, und nur am Inhalt seiner Taschen erkennen wir, daß es Edwin Chapler ist.«
»Aber Mistress Alison, seine Schwester, hat den Toten als ihren Bruder erkannt.«
»Nein, nein, nein.« Cranston
Weitere Kostenlose Bücher