Tödliches Rendezvous - Maxian, B: Tödliches Rendezvous
nächste Ziel war erfasst.
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Der Brunnenmarkt im 16. Bezirk war seit geraumer Zeit fest in türkischer Hand. Er galt als Paradebeispiel für das Miteinander verschiedener Kulturen. Genau genommen war es ein friedliches Nebeneinander von Türken und Österreichern. Wenn man die Brunnengasse zwischen Thaliastraße und Yppenplatz entlangschlenderte, konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, auf einem orientalischen Bazar zu wandeln, das Feilschen an den Marktständen inbegriffen. Die Lokale um den Yppenplatz wurden von ortsansässigen, vor allem österreichischen Künstlern und Sozialromantikern frequentiert, Touristen verirrten sich selten hierher.
Sarah Pauli lebte gern in diesem Grätzl. Jedes Mal, wenn sie den Marktplatz überquerte, vorbei an den Buden und Verkaufsständen, um zu ihrer Wohnung zu gelangen, war es ein wenig wie Urlaub in der Türkei.
Männer standen vor den Geschäften, diskutierten lautstark und tranken türkischen Kaffee aus kleinen Tassen.
Vom Yppenplatz aus konnte Sarah Licht in ihrer Wohnung sehen. Chris war also zu Hause. Sie hoffte, dass ihr Bruder nicht wieder eine Studienkollegin mitgebracht hatte. Sie war müde, wollte die Schuhe von den Füßen streifen, den Jogginganzug anziehen, sich ein Bier aufmachen und in Gedanken das Gespräch mit Sabine Bender rekapitulieren. Die Wohnung war ihre Oase, ihr Ruhepol, ihr Rückzugsgebiet. Aber darauf nahm Chris leider selten Rücksicht. Sein Frauenverschleiß war anstrengend. Sarah bekam die Namen und Gesichter nicht mehr auf die Reihe. Sie hoffte nur, dass Chris Kondome verwendete.
Ihr kleiner Bruder. Der Frauenschwarm. Kurze dunkle Haare, schwarze Augen, ein ebenmäßiges Gesicht und einen Charme, der Widerstand zwecklos machte.
Ihre Wohnung lag im vierten Stock. Regelmäßig ignorierte Sarah den Aufzug und benutzte die Treppe. Sie konnte sich königlich über jene Großstädter amüsieren, die sich damit brüsteten, wie oft und lange sie durch die Parkanlagen joggten und dann mit dem Lift in den ersten Stock fuhren.
Schon vor der Wohnungstür schlug ihr der angenehme Geruch von gekochtem Essen entgegen. Allem Anschein nach verwöhnte Chris seine derzeitige Flamme kulinarisch. Ihr Bruder kochte gern und verdammt gut. Auch Sarah kochte gern und gut, nur fehlte ihr meistens die Zeit dazu.
Sie sperrte die Tür auf. Kubanische Klänge empfingen sie. Buena Vista Social Club. An der Garderobe hing eine rote Frauenjacke.
Marie kam ihr mit aufgestelltem Schwanz entgegen. Sarah hatte die schwarze Halbangora völlig verwahrlost in einem Müllcontainer in der Brunnengasse gefunden, sie, ohne zu zögern, mitgenommen und nach einem der Aristocats benannt. Das war vor vier Jahren gewesen. Seitdem konnte sie sich ein Leben ohne Katze nicht mehr vorstellen. Schwarze Katzen brachten außerdem Glück ins Haus.
» Guten Abend, meine Süße.« Sie ging in die Knie und strich über das weiche Fell des Tieres. Augenblicklich begann Marie laut zu schnurren. » Kannst du mir sagen, wer bei Chris ist? Ist sie nett? Hat sie dich gestreichelt?«
Marie drehte sich herum und lief durch die offene Tür in die Küche. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie Hunger hatte. Wie einfach doch so ein Katzenleben war.
Sarahs Blick fiel auf das Plakat, das die Wand neben der Tür zu ihrem Schlafzimmer zierte. Chris hatte es ihr geschenkt, als sie vor Jahren, nach dem Lernmarathon vor seiner Matura, ihren ersten Job als Journalistin verloren hatte. Es zeigte das Innenleben eines Menschen: Skelett, Muskeln, Gelenke, das Herz-Kreislauf-System. Ein Plakat für Medizinstudenten und Arztpraxen. Chris hatte mit einem blauen Marker in fetten Buchstaben darüber geschrieben: » Journalisten klopfen einem ständig auf die Schulter, auf der Suche nach der Stelle, wo das Messer am leichtesten eindringt.«
Ein Zitat des deutschen Moderators Robert Lemke.
Zögernd ging Sarah Richtung Küche. Sie wollte nicht stören, aber ihr Magen knurrte. Und verdammt, eigentlich war das hier ihre Wohnung. Chris bezahlte weder Miete, noch beteiligte er sich übermäßig an den Betriebs- und Lebensmittelkosten. Und sie hatte den ganzen Tag, außer dem Kuchen der Bender, nichts gegessen.
» Gabi?« Sarah war überrascht. Die Sekretärin ihres Chefs saß auf der Eckbank und sah ihrem Bruder beim Kochen zu. Seit wann gehörte Gabi zu Chris’ Frauentyp? Eigentlich bevorzugte er Dunkelhaarige und Braunäugige. Gabi hingegen hatte kurze blonde Haare, blaue Augen, sie erinnerte Sarah an die
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