Toete John Bender
wie Wolfgang und Doris Schutz suchten. Es blitzte auf und augenblicklich folgte das Grollen eines Donners.
»Bert? Over?« Tom fühlte sich unmittelbar bedroht und sah sich um? Verdammt, was war denn jetzt schon wieder los? Er wischte sich mit der freien Hand den Regen aus dem Gesicht, der ihm in die Augen gelaufen war. Kalt!
»Tom? Hier ist Bert«, klang es hohl aus dem Funkgerät. »Hier ist alles in Ordnung, wenn es nicht REGNEN würde. Over.«
Warum hatte Bert das Wort so betont? So gedehnt und tiefer gesprochen?
»Bert, hier Tom, was meinst du damit, wenn es nicht REGNEN würde? Over.« Er versuchte die Betonung zu imitieren und musste über seine Lippenbewegungen lachen. R-E-G-N-E-N , formte er das Wort lautlos nach und kicherte.
»Hier Bert. Wie meinst du das? Ist irgendwas? Ich kann nur keine Knallkörper mehr anzünden, wenn du VERSTEHST WAS ICH MEINE. Over.«
Tom sah das Funkgerät an und schüttelte es. Vielleicht war Wasser hineingelangt.
»Bert, hier Tom. Irgendetwas ist mit dem Gerät los, hörst du. Oder aber bei euch stimmt etwas nicht. Over.«
Tom hörte sein eigenes Herz pochen, während er auf Antwort wartete. Tatsächlich sah das Funkgerät seltsam aus. Anders als vorher. Tom hielt es sich vor das Gesicht und betrachtete es aus nächster Nähe. Das Bedienfeld, jeden einzelnen Knopf. Etwas stimmte damit nicht.
»DU BRAUCHST GAR NICHT SO ZU GUCKEN, TOM. ICH HABE MIT LYNN GESCHLAFEN!«
Tom hielt es augenblicklich weit von sich gestreckt und betrachtete es wie ein exotisches Insekt.
»OVER«, tönte es und das Funkgerät vibrierte in seinen Händen.
»Was … was meinst du damit, Bert? Over.« Er vergaß zu senden, hielt das Gerät nur ausgestreckt weit von sich.
»ICH MEINE NUR, DASS ICH MIT LYNN GESCHLAFEN HABE, TOM! ICH HABE SIE GEFICKT«, antwortete das Gerät und hatte eine sich bewegende Mundöffnung ausgebildet, durch die es zu ihm sprach. Tom schwitzte und betrachtete das Ding – und das Loch in dem Ding. Es formte sich, pulsierte … und erinnerte ihn an … Silvia! Er wollte es wegwerfen, aber es klebte an seiner Hand, saugte sich fest.
»Scheiße, scheiße, scheiße!«, fluchte er, weiterhin bemüht, leise zu sein, und fuchtelte mit dem Funkgerät herum. Er hatte den Verstand verloren! Vollkommen wahnsinnig war er geworden! Er schwitzte und schlug mit seiner Hand gegen den Baumstamm, um dieses saugende Teil loszuwerden, es abzustreifen.
»Tom, ist was?«, hörte er Wolfgang und erstarrte in seiner Bewegung. Konzentrier dich! Wolfgang darf das Malheur mit deiner Hand nicht sehen! Um Gottes Willen, was sollten die anderen über ihn denken, wie er hier mit dem an seiner Hand festgesaugten Funkgerät herumwedelte, das ihn an Silvias Arschloch erinnerte. Unverhofft brachte ihn die Vorstellung zum Lachen, das er sofort unterdrückte.
»Ich glaube, es ist alles gut, Wolfgang. Ich komme gleich«, antwortete er und sah Wolfgangs besorgtes Gesicht um den Stamm lugen.
»Ich komme gleich«, wiederholte er und verbarg die mutierte Hand hinter seinem Rücken.
»Ja, in Ordnung.« Wolfgang verschwand wieder, aber Tom sah dessen Zweifel als silbrige Schlieren zu ihm hin wabern. Er kniff die Augen zusammen, schüttelte sich, öffnete sie wieder. Die Schlieren waren verschwunden. Das Funkgerät lag unschuldig in seiner Hand, hatte sich nicht festgesaugt und erinnerte ihn auch nicht mehr an anatomische Formen des menschlichen Körpers. Er steckte es wieder ein, holte tief Luft und ging zu den anderen. Ihm war klar, was das gewesen war: Die Flüssigkeit in dem Kelch war mit irgendeinem Mittel versetzt worden. Tom tippte auf LSD. Kein Grund zur Panik, auch DAS schaffst du , motivierte er sich und trat aus dem Unterholz hervor.
***
»G ut. Zehn Minuten sind um, wir können aufbrechen«, sagte Tom laut.
Er musste gegen die Lautstärke des prasselnden Regens kämpfen. Erste Pfützen bildeten sich und weichten den Boden auf. Die Fackeln, die Doris und Wolfgang geholt hatten, kämpften ums Überleben, qualmten mehr, als dass sie Licht spendeten und Wolfgangs Taschenlampe brach mit ihrem Lichtstrahl kaum durch die dichte Wand des senkrecht in Strichen fallenden Regens. Durch die eben erlebte Halluzination fühlte sich Tom sehr fragil. Er hatte keinerlei Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Drogen, sie waren in seinen Augen Vehikel für Verlierer, um sich das Leben erträglicher zu gestalten. Aber sein Allgemeinwissen darüber sagte ihm, dass es wohl nicht bei einer einzigen Attacke bleiben
Weitere Kostenlose Bücher