Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
begangen, und es war …« Na, großartig! Anstatt Zuversicht und Kompetenz auszustrahlen, gab sie hier ein Bild des Jammers ab, und das vor dem Vater eines seit vier Jahren verschwundenen Kindes.
Leander Hansson öffnete seine Aktentasche und holte eine angebrochene Tafel Schokolade heraus. Zartbitter. Als sei es das Selbstverständlichste der Welt, brach er einen Riegel davon ab und reichte ihn Selma. »Mir hilft das immer.«
Jetzt war schon alles egal. Sie nahm die Schokolade, aß die Hälfte davon und flößte sich noch einen großen Schluck Kaffee ein. Der Leichengeschmack wich der Süße, die Flauheit im Magen ließ tatsächlich ein wenig nach.
»Geht’s wieder?«, fragte Leander Hansson. Dunkelrot. Seine Stimme. Ein samtiges Dunkelrot, wie ein schwerer Burgunder.
»Ja. Danke.«
Selma suchte in seinem Gesicht nach Spuren der Katastrophe, fand aber keine. Feste, schön geschwungene Lippen. Die Nase stand ein klein wenig schief und der Blick seiner tief liegenden grauen Augen war wach und klug. Cooler Typ, irgendwie.
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten über unsere Tochter?«
Seine Schultern, dachte Selma. Man sieht es an seinen Schultern. Kraftlos hingen sie nach vorn, wie gebrochene Flügel.
Selma wurde klar, dass sein Besuch eine Art Ritual war. Hätte sich etwas Bedeutsames ergeben, wäre Forsberg sicherlich der Letzte, der ihm das verheimlichen würde.
»Es kommen noch immer Hinweise von Leuten, die Ihre Tochter angeblich gesehen haben wollen. Die prüfen wir selbstverständlich oder veranlassen es. Auch Scotland Yard und Interpol sind nach wie vor an der Sache dran. Im letzten Jahr kam ein Tipp aus Oslo, einer aus Kopenhagen und einer aus Hannover, Deutschland. Immer falscher Alarm. In Oslo war es sogar ein kleiner Junge.«
»Und die anderen beiden?«
»Das Mädchen aus Deutschland war erst vier. Bei dem Kind in Kopenhagen stimmte das Alter bis auf wenige Monate, aber die Mutter, eine Schwedin, konnte die Geburtsurkunde ihrer Tochter vorweisen. Sie sah tatsächlich ein bisschen aus, wie … wie Ihre Tochter jetzt vielleicht aussehen könnte.«
»Kann man eine Geburtsurkunde denn nicht fälschen?«
»Ja, vielleicht. Aber es stimmte auch der Eintrag im Einwohnerregister, und es gibt Unterlagen über die Geburt des Mädchens in Kopenhagen. Die Beamten vor Ort gaben außerdem zu Protokoll, dass das Mädchen ihrer Mutter recht ähnlich sah«, fügte Selma hinzu. Auch sie hatte bei der Lektüre dieses Hinweises für einen Moment gestutzt und dann darüber nachgedacht, wie es wohl war, wenn eines Tages plötzlich Polizisten vor der Tür standen und einen Beweis verlangten, dass das eigene Kind auch wirklich das eigene war. »Es wird natürlich immer schwieriger, je mehr Zeit vergeht«, sagte Selma.
Was rede ich da für einen Scheiß? Als ob er das nicht am besten wüsste!
»Ja, natürlich«, sagte Leander Hansson und lächelte bitter.
Er stand auf, nahm seine Tasche. Selma brachte ihn zur Tür.
»Danke für die Schokolade.«
»Diesmal lächelte er so, dass Selma fast die Luft wegblieb.
»Wiedersehen«, sagt er.
Selma setzte sich wieder hin. Eine Weile noch starrte sie auf die Tür, durch die Leander Hansson gerade verschwunden war. Dann seufzte sie und vertiefte sich wieder in die Akte Lucie Hansson.
Forsberg stieg aus der Linie 11, ging ein paar Meter entlang der Hauptstraße zurück und folgte dann der steil ansteigenden Solhöjdsgatan. Je höher er kam, desto respektabler wurden die Villen. Nein, wer hier in Långedrag lebte, war kein Sozialfall. Das ehemalige Nest für Fischer und Schmuggler war heute einer der exklusivsten Stadtteile. Hier wohnten Leute, die schon seit Generationen Geld hatten, neben solchen, die sich in der neoliberalen Epoche nach oben geboxt oder geschleimt hatten.
Oben angekommen, blieb Forsberg für ein paar Minuten stehen, um zu verschnaufen. Ein salziger Wind vom Meer wühlte in seinen Haaren, sein Blick schweifte über die Schären und die Festung Nya Älvsborg. Ganz hinten im Dunst, an der Grenze zum offenen Wasser, konnte er die Insel Vinga ausmachen. Nördlich von ihm ragten die Kanonen der Festung Oscar II . über die Klippen des Öberget.
Eine Möwe kreischte über ihm. Ich sollte viel öfter rausfahren, ans Meer, dachte er. Vor der Hafeneinfahrt kreuzte eine Gruppe Kinder in ihren Optimisten durch die aufgekratzte See, der Wind trug die Kommandos des Segellehrers bis zu Forsberg herauf.
Ein Boot. Wollte ich ein kleines Kind, eines wie Lucie Hansson, nach
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