Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
Hintergrund ein Quengeln, das sich sehr nach Lucie anhörte, wenn sie anfing, sich zu langweilen. Das war der letzte Laut, den er von Lucie hörte. Er schaltete das Handy aus und begleitete seinen Gast bis zur Pforte, wie es die Höflichkeit verlangte.
Tinka schleppte sich über die Avenyn. Wie schon befürchtet, war im Botanischen Garten nichts dabei gewesen, was Lucie amüsiert hätte. Im Gegenteil. Ein Clown hatte ihnen beiden Furcht eingejagt, und erst mithilfe einer roten Schildkappe ließ sich Lucie ablenken und beruhigen. Die Kappe, Werbegeschenk eines Mobilfunkanbieters, hielt sie nun in den Händen und kaute darauf herum.
Die Stadt glich einem Ameisenhaufen, wie immer im Sommer, wenn ein Ereignis das nächste ablöste. Aber das Kulturfest, der Göteborgskalaset, Mitte August, schien stets der Höhepunkt zu sein. Früher waren Leander und Tinka an diesen Tagen regelmäßig losgezogen, hatten den Konzerten gelauscht, dem Straßentheater zugesehen oder sich einfach irgendwo ins Freie gesetzt und den Strom der Besucher an sich vorbeiziehen lassen. Spätabends waren sie dann in einer Bar gestrandet und erst in den Morgenstunden ziemlich angetrunken nach Hause gekommen. Damals hatten sie noch im Linnéviertel gewohnt. Als Tinka schwanger wurde, waren sie nach Mölndal gezogen, hauptsächlich, weil Leander der Meinung war, dass ein Kind einen Garten brauche. »Es heißt ja auch Kindergarten und nicht Kinderhinterhof«, hatte er rechthaberisch argumentiert. In dem Vorort gab es doppelt so viel Platz für ein Drittel weniger Miete, nette Nachbarn, viele Kinder. Aber an Tagen wie dem heutigen sehnte sich Tinka zurück nach der unmittelbaren Nähe zum kulturellen Leben. Allerdings würde sie im Moment wohl kaum die nötige Energie aufbringen, um das Angebot zu nutzen.
Lucie war kein einfaches Kind. Da sie nachts schlecht schlief, quengelte sie tagsüber. Sie war häufig krank und dazu kam noch das ewige Drama mit dem Essen. Jede Mahlzeit artete in ein Geduldsspiel aus. Jetzt, mit zwanzig Monaten, war sie achtzig Zentimeter groß und wog gerade einmal zehn Kilo.
»Sie wird doch nicht schon magersüchtig sein«, hatte Tinka den Kinderarzt halb im Scherz, halb besorgt gefragt, doch der hatte sie beruhigt, das würde sich einspielen. »Sie braucht eben ihre Zeit.«
Zeit, dachte Tinka, und: Nur noch zwei Wochen! Zum ersten September hatten sie überraschend kurzfristig für Lucie einen Platz im Kindergarten zugesagt bekommen. Nach dieser Nachricht hatte Tinka sich wie ein Soldat in den allerletzten Kriegstagen gefühlt. Leander dagegen hätte es lieber gesehen, mit dem Kindergarten noch bis zu Lucies zweitem Geburtstag im Dezember zu warten. »So war es doch auch abgesprochen, oder nicht?«, beharrte er. Aber das stimmte nicht ganz. Ursprünglich hatten sie sogar nur ein Jahr Pause eingeplant. Doch als Lucies erster Geburtstag nahte, hatte sich keiner von ihnen vorstellen können, dieses kleine, zarte Wesen fremden Menschen anzuvertrauen. Also hatte Tinka eingewilligt, noch ein weiteres Jahr zu Hause zu bleiben. Aber nun, nach dieser Sache, fühlte sie sich an Absprachen nicht mehr gebunden. »Bleib du doch bis zu ihrem zweiten Geburtstag zu Hause«, hatte sie vorgeschlagen und hinzugefügt: »Wie die jüngsten Erfahrungen gezeigt haben, erscheint es mir nicht ratsam, meine Karriere noch länger zu vernachlässigen.«
Vor diesem Geschütz hatte Leander erwartungsgemäß kapituliert und Tinka reumütig gedacht: Ich lasse Lucie für Leanders Verfehlung büßen. Aber schließlich hatte sie sich gesagt, dass ein Kindergarten das Normalste auf der Welt wäre, keine Buße oder Strafe.
Tinka drängelte sich zuerst in die Markthalle, in der sich mehr Schaulustige als Käufer aufhielten. Sie stellte sich für norwegischen Kabeljau an und dann noch einmal für eine Lammkeule. Die Preise in der Stora Saluhallen waren gesalzen, aber dafür erhielt man gute Qualität. Sie kaufte für Lucie, die langsam unruhig wurde, eine Zimtschnecke und trat wieder hinaus auf den Kungstorget.
Jetzt noch Gemüse und Obst. Zwischen dem großen Marktstand und der Halle war einiges los. Einheimische erledigten ihre Wochenendeinkäufe, herumschlendernde Touristen lauerten vor den Cafés, die die Markthalle säumten, auf einen Tisch im Freien und verstopften den Durchgang. Lucie begann erneut zu quengeln. Die Zimtschnecke hatte sie offenbar aufgegessen oder, was wahrscheinlicher war, fallen gelassen. Hoffentlich würde sie den Rest des Einkaufs noch
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