Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
Und was war dabei herausgekommen?
Als Peer Reinfeldt, der alte Nachrichtenchef, vor zwei Jahren in Rente gegangen war, hatte sich Eva gute Chancen ausgerechnet, den Posten zu bekommen. Sie war die Dienstälteste in der Abteilung, zusammen mit Fredrika Lindblom, und eine Weile hatten sie und Fredrika ziemlich unverhohlen miteinander konkurriert. Dabei war Eva stets sicher gewesen, dass sie das Rennen machen würde. Reinfeldt musste doch gemerkt haben, dass sie mehr Biss hatte als Fredrika, und ihrer Meinung nach hatte Chefredakteur Petter Hinnfors, »der Alte«, deutliche Signale in ihre Richtung ausgesandt. Aber zur allgemeinen Verblüffung war dann Leif Hakeröd der neue Nachrichtenchef geworden. Ein gerade mal dreiunddreißig Jahre junger Quereinsteiger, der, ehe er zum Dagbladet gekommen war, als Model gejobbt und für ein Detektivbüro gearbeitet hatte!
»Ein frischer, unverbrauchter Geist«, hatte Hinnfors dazu gesagt. Demnach war also ihr Geist mit achtunddreißig Jahren alt und verbraucht, oder wie war das zu verstehen? In ihrer ersten Wut hatte sie kündigen wollen, oder wenigstens Petter Hinnfors zur Rede stellen, wieso er ihr ihren eigenen Zögling vor die Nase setzte. Weil er ein Mann war? Okay, Hakeröd war ein guter Reporter, kein »Heißluftballon«, wie ihn Fredrika hinter seinem Rücken nannte. Er hatte ein Näschen für eine gute Story und irgendwie das Talent, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Aber besser als Eva war er nicht. Es war einfach nur ungerecht!
Am Ende hatte sie doch geschwiegen und die Kröte geschluckt. Das war Fredrika zu verdanken, die ihr beim gemeinsamen Frustbesäufnis im Irish Pub geraten hatte: »Gib dir keine Blöße. Einen wie den hält es bestimmt nicht länger als nötig in der Provinz. Den zieht es bald in die Szenebars von Stockholm.«
Im Stillen gab Eva ihr recht. Es würde vorbeigehen. Beim nächsten Karrieresprung, den er tat, würden sie ihn los sein und die Karten neu gemischt werden. Das sagte sich Eva inzwischen jeden Tag, während sie darauf wartete und Leif Hakeröd auf die Finger schaute, jederzeit bereit, ihn ans Messer zu liefern, sollte er einen Fehler machen.
Ja, aus Schaden wurde man klug, und in Zukunft würde Eva vorsichtiger sein.
Als Selma Valkonen am Freitag gegen elf Uhr das Büro betrat, blieb Greger Forsberg der Mund offen stehen. Er hatte sich gerade so einigermaßen an ihren Existentialistenlook gewöhnt, aber nun trug sie Jeans, eine blau und türkis gemusterte Bluse und eine Handtasche anstatt des gewohnten Rucksacks. Auch ihre Frisur war anders, irgendwie braver als sonst. Davon abgesehen, kam sie fast drei Stunden zu spät zum Dienst, ohne sich entschuldigt zu haben. Aber was Forsberg wirklich aus der Fassung brachte, war der Buggy, den sie ins Büro schob. Darin saß ein pausbäckiges Kind, das Gesicht halb verdeckt von einem Schnuller in der Form eines Propellers. Kugelrunde blaue Augen blickten den Kommissar aufmerksam an.
»Was, zum Teufel...?«
»Das ist Wilma.«
Forsbergs Blick verfinsterte sich. Er wusste inzwischen, dass Selma Valkonen sechsundzwanzig und ledig war und im Linné-Viertel wohnte, das bei Studenten und jungen Leuten recht beliebt war. Er wusste außerdem, dass ihre Mutter als Özge Akbar in Izmir geboren und im Alter von drei Jahren nach Schweden eingewandert war, wo sie zwanzig Jahre später, 1984, einen gewissen Emppu Valkonen aus Turku, Finnland, geheiratet hatte. Die Ehe war vor dem Standesamt in Halmstad, dem Wohnort des Paares geschlossen worden. Ein Jahr danach kam eine Tochter zur Welt: Selma Nilay Valkonen. Und ja, tatsächlich war Selma auch ein türkischer Name, das hatte er im Internet nachgelesen. Er bedeutete: Harmonie , Frieden . Außerdem hatte Forsberg von Anders Gulldén die vertrauliche Information bekommen, dass Emppu Valkonen 1995 gestorben war, und zwar durch Suizid durch Kopfschuss mit einer Schrotflinte. Er hatte nicht nachgefragt, woher Gulldén das wusste. Aber offenbar hatte es niemand für nötig gehalten, ihm mitzuteilen, dass Selma ein Kind hatte. Mit allem hätte er gerechnet, nur nicht damit. Wieso eigentlich nicht?, dachte Forsberg selbstkritisch. Nur weil sie auf den ersten Blick nicht nach Volvo, Villa, Wuffe aussieht, den Inbegriffen des gesettelten Lebens?
»Gibt’s Läuse im Kindergarten?«, fragte er.
»Ich möchte es ausprobieren«, sagte Selma.
Was wollte sie ausprobieren? Das Vogelkind ab jetzt öfter mitzubringen? Forsberg holte in Gedanken zum Protest aus, als
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