Töten Ist Ein Kinderspiel
abhanden gekommen war und dass ihn dieser Umstand auf sonderbare Weise erleichterte. Schon Sekunden später brach die Scham über ihn herein.
Obwohl der Krebs unerbittlich sein Inneres zerfraß, ließ er ihm von Zeit zu Zeit die Kraft, sich noch einmal aufzubäumen, als ob er sagen wollte: Das ist alles, was von dir übrig bleiben wird.
„Ich wollte das nicht, wirklich nicht. Aber ich kann es nicht besser.“
Dabei wollte er Erika immerzu nur das eine sagen, auf das er selbst nicht gefasst war, nachdem sein Todesurteil gefällt war. Etwas, für das er sich verachtete, so sehr wie für die kranke Liebe zu dieser Frau, die sein Glück und sein Verderben war: Lass mich, um Gottes Willen, nicht allein.
Frank Erkner war froh, sein Büro verlassen zu können, denn im Gegensatz zu seinen Kollegen konnte es ihm gar nicht heiß genug sein. Ein Cappuccino in der Charlottenburger Augustsonne war genau die Art von Mittagspause, die ihm gefiel. Dazu bestellte er in dem kleinen Deli, vor dessen Schaufenster er an dem einzigen Tisch ohne Sonnenschirm Platz genommen hatte, ein Tramezzino mit Mozzarella und Tomaten. Dolce Vita, dachte er und betrachtete dabei die Kirche, in der am Abend zuvor Erika Mangold ihr Leben hatte lassen müssen.
„Für eine Theologin eigentlich ein guter Platz zum Sterben“, hatte Berger trocken bemerkt.
Direkt daneben lag ein Spielplatz, der in reger Benutzung war: Der Sandkasten quoll vor Kindern geradezu über, auf den schattigen Bänken drängten sich Männer und Frauen, um die Schaukeln und Klettergerüste stoben Jungs und Mädchen herum – Sommerferien, unübersehbar. Sie alle wären nach sechs verschwunden, nach Hause, Abendbrot, Fernsehen, Bett. Vielleicht funktionierten die Spielplätze hier in der City West wie bei ihm in Neukölln, wo sie am frühen Abend zum Feierabendtreffpunkt für Jugendliche mutierten: Kollektives Biertrinken und Kiffen, bevor sie den Tag zur Nacht machten. Erkner musste wohl später noch einmal wiederkommen, um das herauszufinden.
„Unsere Frau Pfarrer?“, hörte er plötzlich eine ältere Frau am Nachbartisch ausrufen. „Erschossen? Aber von wem denn, du lieber Himmel?“
Erkner sah, wie eine rüstige alte Dame ihrem Gegenüber bedeutete, keine Antwort darauf zu wissen, nur um kurz darauf zu sagen: „Also mich wundert das nicht!“
„Wegen dem Ausländer in der Singstunde, meinst du?“
„Na also, wie der sich aufgeführt hat!“
Erkner räusperte sich und lächelte der Grauhaarigen, deren Tönung intensiv ins Lilafarbene abdriftete, offensiv zu.
„Entschuldigen Sie, ich wollte nicht lauschen – aber haben Sie gerade etwas von Singstunde gesagt? Ich suche nämlich einen Chor, bei dem ich mitmachen kann!“
Nun drehte sich auch die andere ältere Frau herum und beide sahen ihn an, als hätte er ihnen gerade einen Heiratsantrag gemacht.
„Ich weiß nicht, ob Sie bei uns richtig wären, junger Mann!“, erwiderte die Getönte kokett, „oder was meinst du, Helga?“
„Verstärkung bei den tiefen Stimmen könnten wir schon gebrauchen“, kicherte die Gefragte. „Sind immer die ersten, die uns wieder verlassen!“
Der knapp dreißigjährige Oberkommissar hatte verstanden, stand auf, ging auf ihren Tisch zu, nicht ohne sich kurz davor knapp zu verbeugen.
„Frank Erkner. Es wäre mir geradezu eine Ehre, die Damen mit meinem bescheidenen Bass zu unterstützen.“
Die scheinbar Ältere der beiden zwinkerte in die Sonne und bat ihm mit einer galanten Geste einen Platz an: „Sie Schmeichler! Wollen Sie etwa im Altersheim singen?“
„Warum nicht? Ist es weit von hier?“
Nach einer Viertelstunde wusste Erkner alles über die nahgelegene Seniorenresidenz und auch, dass Erika Mangold dort vor Kurzem die geistliche Betreuung übernommen hatte. Dazu gehörte nicht nur ein Gottesdienst für die Kranken und Schwachen in der heimeigenen kleinen Kapelle, sondern auch die wöchentliche Singstunde. Woher die Damen jedoch bereits wussten, dass ihre Chorleiterin brutal und aus nächster Nähe erschossen worden war, obwohl es noch nicht in der Zeitung gestanden hatte, konnten oder wollten sie ihm nicht sagen.
Aber dass die Frau Pfarrerin Ärger gehabt hatte mit einem Südländer, davon erzählten sie bereitwillig.
„Wie die Bösen in den Filmen, so sah der aus!“
„Und spanisch hat er geredet. Sagt die Anni zumindest, die versteht das.“ Die Jüngere schüttelte den Kopf. „Ach, was sag ich – geredet? Geschrien hat der! Und die Frau Pfarrer am Arm
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