Töten Ist Ein Kinderspiel
es wissen. Wolfram Berger hatte vor drei Jahren mit Mitte dreißig mehrere Monate Klinikaufenthalt absolvieren müssen, bevor er begriffen hatte, dass ihm seine Beziehung zu eng geworden war. Der privat kontaktscheue, unter Kollegen als eigenbrötlerisch verschriene Kommissar, hatte jahrelang um Jasmin gekämpft und war bei dem Versuch, ein guter Partner zu sein, an sich selbst und seinem Rückgrat gescheitert.
„Ich habe mich von ihr getrennt. Sie will, was ich ihr nicht geben kann: Familie, Kinder. Aber ich bin und bleibe ein Eigenbrötler“, hatte er seiner Chefin auf Nachfragen erklärt. „Und mein Therapeut hat gesagt, das darf ich ruhig sein.“
Das einzige, was an die schmerzhafteste Zeit in seinem Leben erinnerte, war die Tatsache, dass er nun jeden Morgen vor der Arbeit bei Wind und Wetter eine halbe Stunde Schwimmen ging. Und dass er nie länger als fünfundvierzig Minuten an einer Stelle sitzen blieb. Das hatte unter anderem dazu geführt, dass während der Arbeit öfter eingekauft und Kaffee geholt wurde. Der Kollege Berger hatte sich vom Rückenleidenden zum Laufburschen entwickelt.
„Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten“, sagte er, als seine Kollegin nichts erwiderte. Noch immer fürchtete er, die Grenzen der anderen falsch einzuschätzen, wenn er sich aus seiner Verschlossenheit herauswagte.
„Quatsch, das tust du nicht. Du hast ja Recht.“ Sie fingerte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche. „Darf ich, wenn ich sie aus dem Fenster halte?“
„Wenn du sie aus dem Fenster hältst, fliegt entweder dir oder mir die Glut ins Gesicht, also überlass die Arbeit gegen die Hitze der Klimaanlage und verpeste den Dienstwagen, ich verpetze dich nicht.“
„Danke.“ Inge Nowak steckte sich sofort eine an und nahm einen tiefen Zug. „Einerseits freue ich mich, andererseits habe ich Angst um mein Territorium. Wochenenden und Urlaube zusammen verbringen ist etwas anderes als mich nach der Arbeit jemandem auszuliefern!“
Berger nickte zustimmend und bog von der Autobahn ab. „Wie lange bleibt sie denn überhaupt?“
„Sechs Monate.“
Berger lachte auf.
„Was ist daran so lustig?“, fragte sie ein wenig ungehalten.
„Bei unserem Lebenswandel wirst du so schnell nicht gucken können, dann ist sie schon wieder weg!“
„Eben!“ Sie ließ nun doch die Scheibe herunter, schnippte die Asche aus dem Fenster und wie Berger befürchtete hatte, kam sie postwendend zurück. „Kaum werde ich mich daran gewöhnt haben, es am Ende noch schön finden, dann bin ich wieder allein auf weiter Flur!“ Sie schluckte. Das war weit mehr, als sie ihrem Kollegen hatte sagen wollen.
Berger verstand sofort und wechselte das Thema. „Wir sind gleich da. Da vorne müsste es sein.“
Berger parkte genau vor dem Eingang des verglasten Vorbaus eines fünfstöckigen Firmengebäudes. Intershop stand in bunten Lettern über dem Eingang und nun fiel Inge Nowak ein, dass sie den Schriftzug doch schon das ein oder andere Mal gesehen hatte.
Als sie sich am Empfang auswiesen und nach Estebán Valero fragten, wurden sie gebeten, einen Augenblick im Foyer Platz zu nehmen. Berger blätterte in einem Hochglanzmagazin des Unternehmens, das auf einem Plastiktischchen lag, seine Kollegin steckte unauffällig einen Schlüsselanhänger mit Werbeaufschrift ein. Verónica würde sich sicher freuen, wenn sie ihr daran den Haustürschlüssel überreichte.
Kurz darauf erschien ein etwa Vierzigjähriger im smarten Business-Outfit mit auffallend schwarzen Haaren.
„Estebán Valero, angenehm. Was kann ich für Sie tun?“ Der Mann sprach nahezu akzentfreies Deutsch.
„Kriminalhauptkommissarin Inge Nowak, und das ist mein Kollege Wolfram Berger. Wir möchten uns gern mit Ihnen über Frau Mangold unterhalten.“
„Über Erika?“ Er zog die Augenbrauen zusammen. „Aber warum, was ist mit ihr?“
„Sie ist gestern Abend erschossen worden.“
„Was?“
Die Kommissarin konzentrierte sich auf seine Pupillen. Im Schock vergrößern sie sich. Normalerweise. Doch Estebán Valeros dunkle Augen schienen ohnehin nur aus Pupillen zu bestehen, die sich zur besseren Sichtbarkeit auf weißem Untergrund bewegten. Was sie nun ziemlich hektisch taten, weil er hastig von ihr zu Berger sah.
„Und Sie“, setzte Berger nach, „waren der Letzte, mit dem sie telefoniert hat.“
„Das glaube ich nicht. Erika? Umgebracht? Aber wieso denn?“
„Wir dachten, Sie könnten uns bei dieser Frage vielleicht weiterhelfen.“ Inge
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