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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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durch die Büsche. Setzte sich Valero auf die Bank vor der Kirche, um auf seine Mutter zu warten, stand er nicht weit davon an einer Ecke. Gingen die beiden in ein Café und diskutierten heftig miteinander, hielt er Abstand und sah ihre Silhouetten streiten. Einmal nahm er ein Taxi und bat den Fahrer Valero hinterherzufahren. Die Fahrt führte sie an die Stadtgrenze, in einen Industriepark, zu dem auch ein Hotel gehörte. Dort stellte Estebán seinen Wagen ab und betrat das Foyer ohne Gepäck. Er musste also dort wohnen, und nachdem Ben beim Wenden des Taxis die Leuchtschrift an einem der Bürogebäude erblickt hatte, wusste er auch, warum. Hier befand sich die deutsche Niederlassung von Intershop. Ben legte den Nacken zurück und schaute durch die Heckscheibe in den violettfarbenen Abendhimmel. Merkwürdigerweise beruhigte ihn der Gedanke, dass sein Vater in Berlin arbeitete. Das würde es ihm leichter machen, ihn aufzusuchen. Er wollte ihn damit konfrontieren, dass er Bescheid wusste. Denn was Ben einfach nicht verstehen konnte, war, weshalb er sich mit seiner Mutter traf und nicht mit ihm, wenn er sich doch so sicher war, sein Vater zu sein.
    Hilfe, Mama, bitte.
    Die Worte drehten sich in ihrem Kopf wie Wegweiser, die ins Leere zeigten. Um sie herum war alles weiß, die Bilder an den Wänden nahm sie nur als Schatten wahr, ebenso die Konturen des Fensters und des Nachtisches, auf dem das Kästchen mit dem roten Knopf lag.
    „Wenn du etwas brauchst, wenn ich kommen soll“, hatte die Krankenschwester gesagt, „drückst du einfach hier drauf. Und jetzt versuch zu schlafen.“ Sara konnte nichts dagegen tun, dass sie ihr über die Stirn strich, nur die Augen schließen und denken: Nicht anfassen, nicht anfassen, nicht anfassen.
    Meine Eltern sind tot.
    Wie sie den Satz auch drehte und wendete, er hatte keinen Sinn, verhallte in dem Wolkengebirge, das sich um ihren Kopf türmte.
    War Ben auch schon tot?
    Vielleicht war ja alles nur ein großer Plan, von Gott ausgetüftelt: Sie würden sich alle bald wiedertreffen, und sie war die letzte, die noch unterwegs zu ihm war. Deshalb war sie im Krankenhaus, deshalb bekam sie die Spritzen. Ihre Mutter musste das arrangiert haben. Nur so machte die Krankheit ihres Vaters Sinn, nur deswegen starben sie so schnell hintereinander, daher war Ben verschwunden. Die drei saßen längst wieder irgendwo zusammen und warteten auf sie. Musste sie sich beeilen mit dem Sterben? Machte sie etwas falsch?
    Sara Mangold öffnete die Augen, und ihr Herz schlug trotz der Schwere, die auf ihm lag, schnell. Sie wollte nicht sterben! Der Landesauswahltrainer hatte sie persönlich zum Auswahltraining eingeladen, sie konnte unmöglich absagen. Und Sven – sie hatten sich vor einer Woche das erste Mal geküsst. Wie weich seine Lippen waren, wie vorsichtig seine Hände und wie wunderschön seine Augen, wenn er sie ansah und lächelte.
    Sie war doch noch so jung, und Ben war doch auch noch nicht richtig erwachsen. War er weggelaufen? Rannte er dem Tod davon? Wohin? Sie musste ihn finden, durfte keine Zeit verlieren. Wenn sie hierbliebe, hatte sie keine Chance. Sie musste mit Tilde sprechen, sofort. Ihre Tante hatte sicher keine Ahnung von alldem, wusste nicht, dass man sie auch töten wollte.
    Vorsichtig versuchte sie ihre Beine zu bewegen, doch sie schienen wie festgebunden. Tonnenschwer lag die Bettdecke darauf, sie spürte die nackte Haut darunter nicht. War sie schon tot? Hatte sie unnötig Angst und alles war gut und sie benahm sich wie ein kleines Kind?
    „Gott kannst du immer vertrauen!“, hörte sie ihre Mutter sagen.
    Und wenn nicht?
    Durch die geöffnete Tür kamen zwei große Schatten. Mama? Papa?
    Die Riesen hatten keine Gesichter, ihre Körper waren strahlend. Ein paar Schritte vor ihrem Bett blieben sie stehen und Sara hörte ein Rauschen. Kamen die Engel?
    Einer von ihnen beugte sich über sie und nun konnte sie genau zwei Augen und eine Nase sehen.
    „Sara?“
    Sie nahm all ihren Mut, all ihre Kraft zusammen.
    „Ich bleibe hier“, flüsterte sie. „Ich gehe nicht mit.“
    „Kein Problem“, antwortete die Stimme sanft. „Du kannst hierbleiben, solange du willst.“
    Erleichtert schloss sie die Augen und bevor sie einschlief, erschienen ihr das traurige Gesicht ihrer Mutter und die ernsten Augen ihres Vaters.
    Sie hatte ihre Eltern verlassen. Dafür gab es keine Entschuldigung.

Dreizehn
    Nicht immer kennt das Älterwerden die Gnade des Vergessens. Mein Gehirn löscht nichts, es

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