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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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Erinnerung an die Katastrophe nach außen hin aus der Wohnung verbannt. Es war der Hauptkommissarin ein Rätsel, wie die Schwester es in so kurzer Zeit geschafft hatte, die Krankenpflegeutensilien aus dem Wohnzimmer verschwinden und die Wohnung lichter aussehen zu lassen. Überall standen frische Blumen in Kristallvasen, die Vorhänge waren auf- und sämtliche Rollläden trotz der Hitze hochgezogen, und aus der Küche roch es nach frisch Gekochtem. „In einem Horrorfilm, um es genau zu sagen“, setzte Mathilde Taylor nach und schenkte Eistee ein.
    „Sie scheinen die Situation aber gut im Griff zu haben“, bemerkte Inge Nowak.
    „Ich bin Psychotherapeutin von Beruf. Dadurch weiß ich zumindest theoretisch, wie man mit derlei Katastrophen umgehen sollte. Das heißt aber nicht, dass sie mich nicht umhauen würden. Meine Aufgabe hier heißt nur gerade, der Fels in der Brandung zu sein, und deshalb gebe ich mein Bestes.“ Sie lächelte traurig, und wenn man genau hinsah, konnte man unter dem leichten Make-up sehen, dass sie viel geweint hatte.
    „Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrer Schwester?“
    „In den letzten Jahren haben wir uns nur noch sporadisch gesehen. Wir hatten unterschiedliche Lebensentwürfe. Mein Mann und ich führen eine offene Beziehung, ich konnte wenig mit der christlich-bürgerlichen Lebensweise von Erika anfangen. Aber wir haben uns respektiert. Ich bin die Patin von Sara, und als Ingo krank wurde, habe ich mich mehr um sie gekümmert. Sie hat uns in London besucht, und Erika und ich hatten geplant, dass sie nach dem zehnten Schuljahr ein Jahr bei uns zur Schule gehen würde.“
    „Können Sie sich vorstellen, wer Ihre Schwester getötet hat?“
    „Ingo jedenfalls nicht.“ Sie seufzte. „Die beiden hatten zwar eine kranke, aber keine lebensgefährliche Beziehung.“
    „Krank? Inwiefern?“
    „Depressive Symbiose. Beide litten unter Depressionen, Ingo mehr als Erika. Sie haben ihre Kindheitstraumata aneinander abgearbeitet: Verlustängste, Todesangst und Gewalterfahrung.“ Sie schlug die Beine übereinander. „Wir sind groß geworden in einem – sagen wir mal locker – prolligen Milieu. Mein Vater hat getrunken und gerne zugeschlagen, wenn er überfordert war von seinen Kindern. Unsere Mutter hat ein paar Jahre zugeschaut und hat sich dann entschieden zu sterben. Am Rande eines piefigen Dorfes in der bleiernen Zeit, das Konterfei von Baader und Meinhof an jeder Bushaltestelle. Soziale Kontrolle überall, und keiner hat gesehen, wenn dir einer zwischen die Beine gefasst hat. Erika muss mehr passiert sein als das, aber sie hat nie darüber geredet.“
    „Wie kommen Sie darauf?“
    „Als sie sechzehn oder siebzehn war, hat sie sich von einem auf den anderen Tag verändert. Ich habe damals schon nicht mehr zu Hause gewohnt. Wir hatten beide Glück im Unglück: Eine Lehrerin in der Grundschule hat nicht locker gelassen, bis wir beide aufs Gymnasium gehen durften. Unser Vater hätte uns lieber in eine Lehre gesteckt. Wozu müssen Mädchen auf die höhere Schule? Na, Sie wissen schon. Jedenfalls bekamen wir Unterstützung von der Gemeinde, Schulbuchgutscheine und die Fahrkarte für den Bus. Schließlich konnte unser Vater nichts mehr dagegen einwenden. Nach dem Abitur bin ich gleich nach Frankfurt in ein Studentenwohnheim gezogen. Einmal kam Erika mich besuchen, war vollkommen verstört. Damals wusste ich nicht, was los war, hielt es für eine pubertäre Phase. Heute würde ich sagen, sie hatte eine traumatische Erfahrung gemacht und konnte sich nicht mitteilen.“
    „Wie hat sich das geäußert?“
    „Sie war plötzlich besessen von der Idee, ins Kloster zu gehen. Vorher hatte sie sich kaum für Religion interessiert.“ Die Schwester strich sich eine Strähne zurück, die ihr ins Gesicht gefallen war, und fuhr sich dabei müde über die Augen. „Ein ziemlich klares Zeichen dafür, dass ihr etwas große Angst gemacht hatte, dass sie Schutz suchte. Sie hat sich dann tatsächlich gleich nach dem Abitur in Freiburg für evangelische Theologie eingeschrieben. Danach ist unser Kontakt für eine Weile abgebrochen, weil mein Verhältnis zu Gott damals nicht zum Besten stand.“ Sie lächelte. „Ich habe eher an Mao und die Revolution geglaubt.“
    „Wussten Sie, dass Sie kürzlich hier in Berlin einen damaligen Freund wiedergetroffen hat?“
    „Valero? Ja, das hat sie mir erzählt. Sie war vollkommen geschockt davon.“
    „Warum?“
    „Weil Sie Angst hatte, dass er von Ben

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