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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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er hatte sich gefragt, was sie wohl damit meinte.
    Nun wusste er es.
    Was er jedoch nicht wissen konnte, war, dass jegliche Verbindung zu ihr abgebrochen war. Seine Pupillen brauchten einen Moment, bis sie sich nach dem noch immer hellen Abendlicht an die Dunkelheit in dem finsteren Steingewölbe gewöhnt hatten, sich leiten ließen von dem gelblichen Lichtschein, den die angeschaltete Zimmerlampe in den Vorraum strahlte. Noch bevor er den Raum betrat, ahnte er, dass etwas nicht stimmte.
    „Mutter?“
    Schritt für Schritt ging er auf die geöffnete Tür zu, bis er aus einigen Metern Entfernung sehen konnte, weshalb sie ihm nicht antwortete. Sie lag mit weit aufgerissenen Augen zwischen Schreibtisch und Liege in einer riesigen Blutlache, die Arme weit von sich gestreckt.
    Ben war einige Sekunden wie gelähmt gewesen, hatte auf den leblosen Körper gestarrt und etwas hatte ihm die Worte Krankenwagen und Polizei ins Gehirn buchstabiert.
    Dann hatte er tief durchgeatmet, war wie in Zeitlupe rückwärts wieder hinausgegangen, vorsichtig, um weder die Wände noch die Tür zu berühren. Am Hinterausgang hatte er gewartet, bis gerade niemand den kleinen Weg zum Spielplatz entlanggelaufen kam und war dann, wie benommen, in eine der Seitenstraßen gelaufen. Dort traf er eine Entscheidung.

Vierzehn
    Ich war neununddreißig, als die Mauer gebaut wurde. John F. Kennedy sagte dazu: „Keine schöne Lösung, aber tausendmal besser als Krieg“, und ich gab ihm recht. Vielleicht hätte ich anders gedacht, wäre ich in der sowjetischen Besatzungszone beschäftigt gewesen und nicht in einem Kreuzberger Krankenhaus. Wenn ich –wie Charlotte – in der Bernauer Straße gewohnt hätte, die dort ganz in der Nähe in einem Fotolabor Arbeit gefunden hatte.
    „Das mit der Mauer ist doch völliger Quatsch! Hier lässt sich keiner einsperren! Wart nur ab, das legt sich wieder“, hatte sie noch Anfang August gesagt. „Ich komm gut mit den Russen klar, den Amis trau ich noch weniger. Ich hab nichts gegen die sozialistische Umgestaltung.“
    Und dann gab es plötzlich kein Durchkommen mehr. Meinen vierzigsten Geburtstag feierte ich allein und war seltsam froh. Walter Ulbricht hatte uns die Trennung abgenommen, das quälende Zehren voneinander, wenn man offen voreinander liegt und zugeben muss, dass es nichts mehr zu entdecken gibt. Charlotte und ich hatten uns bis zu der bitteren Erkenntnis geliebt, dass wir nicht füreinander gemacht waren. Sie war lebenslustig, ich war untauglich zu genießen. Sie wollte die Revolution, ich traumlos schlafen. Ihre Leichtigkeit erstickte unter meiner Schwere und daran konnte auch das Gewicht ihrer Leidenschaft nichts ändern. Mit den Jahren füllte sich jede einzelne Pore meiner Haut mit ungeweinten Tränen, ich löschte ihr Lachen mit jedem Kuss. Je näher wir uns kamen, umso schmerzlicher wurde mir bewusst, dass ich längst eingeschlossen war. Lange vor der Mauer hatte mich eine Grenze umgeben, die unpassierbar wurde – Charlotte konnte mir die Freiheit nicht wiedergeben, die ich in den Jahren zwischen Leid und Sterben verloren hatte.
    Wir schrieben uns noch einige Male von West nach Ost und umgekehrt, doch zwischen den Zeilen schwelte schon der Abschied. Keine von uns wusste je, ob es die Umstände waren, die uns schließlich ins Schweigen trieben oder die Einsicht, keine Worte mehr füreinander zu haben.
    Plötzlich war ich wieder umgeben von Stacheldraht in einem überschaubaren Terrain, und es hätte mich nicht gewundert, wenn man uns wieder Nummern gegeben hätte. Immerhin saßen wir im Schaufenster des Westens, die Welt schaute auf die geteilte Stadt, die amerikanischen Panzer standen zu unserem Schutz bereit. All das beruhigte mich nicht.
    Hinter der Mauer wurde auf Flüchtende geschossen, das erzählten die, die es im letzten Moment geschafft hatten, aus dem Fenster zu springen. Wie der Mann, der, als er mit gebrochenen Knöcheln zu uns kam, sechs Anzüge übereinander trug. Er hatte sie nicht zurücklassen wollen, anders als seine Frau und seine Kinder. Der Bruch durch den Sprung aus dem zweiten Stock verheilte schnell, die Lungenembolie, die er im Krankenhaus bekam, überlebte er nicht. Die Anzüge verschenkten wir einige Tage nach seinem Tod ans Rote Kreuz.

Donnerstagabend
    „Ich habe ihn geliebt.“
    Berger und Nowak tauschten einen kurzen Blick.
    „Sie würden mich doch sowieso danach fragen, in welchem Verhältnis wir zueinander standen, oder?“
    Die Hauptkommissarin nickte. „Das

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