Töten Ist Ein Kinderspiel
ist nur nicht mehr bereit, die Ordnung einzuhalten, die ihm ein Leben lang auferlegt wurde: Seine Archive bersten und an die Oberfläche schwemmt das, was am wenigsten fest in den Schubladen und Regalen verankert ist. All das Unbezeichnete, das aus Verzweiflung und Angst Weggesteckte drängt heraus. Am schlimmsten sind die Nächte. Wer einmal eingesperrt gewesen ist, findet keine Ruhe mehr im Schlaf. Wer je getötet hat, träumt nie mehr vom Leben. Je älter, umso schwerer die Last im Dunkeln und die Erinnerung am helllichten Tag.
Kurz nach dem Krieg hatte ich noch an das Vergessen geglaubt. Und auch in den ersten Jahren der zerbrechlichen Freiheit. Mit den Verletzungen der amerikanischen Soldaten heilte meine eigene Verwundung, doch die Narben blieben tiefe Unebenheiten, an meine Haut ließ ich nur Sonne und Wind. Und eines Morgens die flüchtige Berührung von Charlotte.
„Kommst du mit, Tauben füttern?“
Ich hatte nie zuvor Tauben gefüttert, mehr noch, mir lag nichts ferner, als Tauben zu füttern, Brot aus meinen Händen führte immer nur in meinen Mund, niemals in aufgesperrte Schnäbel. 1954 trugen die Frauen Kopftücher, die sie im Nacken zusammenbanden. Ich löste den Knoten und Charlottes langes Haar fiel mir in die Hände. Voll und schwer glitt es zwischen meine Finger, es roch nach Sommer, und meine Augen liefen über.
„Warum weinst du?“
„Vor Glück.“
Sie nahm mir die Lüge nicht übel und mich in den Arm. Wiegte mich Wochen, bis ich endlich ein Stück des trockenen Brotes auf den Boden werfen konnte ohne Scham. Bis ich ihr folgte, die Treppe hinauf in ihr möbliertes Zimmer, mich auf das Bett mit der karierten Tagesdecke setzte, die sie zurückgeschlagen hatte. Auf dem kleinen Tisch zwei Gläser, eine Flasche Wein, schon entkorkt.
„So sicher warst du dir?“, fragte ich sie und war mit den Augen schon wieder an der Tür.
Charlotte schüttelte den Kopf. „Nein. Aber du kannst nicht ein Leben lang davonlaufen.“
Ich blieb.
Draußen heulten Martinshörner, in mir tobte ein Krieg um die Besetzung meiner letzten, meiner einzigen Heimat. Längst war ich nackt, doch mein Körper hatte die Flucht ergriffen.
„Iris.“
„Ja?“
„Die Iris regelt den Lichteinfall des Augen.“
„Und?“
„Sie funktioniert wie die Blende bei einem Fotoapparat. Ohne sie keine scharfen Bilder.“
Die Dämmerung verwischte die Konturen, wir sahen uns ohne Ränder.
„Verschwommen fügen sich die Dinge besser ineinander.“
„Schließ die Augen.“
„Ich kann nicht.“
„Noch nicht.“ Charlotte deckte mich zu. „Ich kann warten.“
Dann legte sie ihren Kopf an meine Schulter, ihre Haarspitzen kitzelten mein Kinn, schmiegte sich an mich und summte eine Melodie, die ich nie zuvor gehört hatte.
In jener Nacht schlief ich mich in eine zarte, unschuldige Leere.
Donnerstagnachmittag
Das Team der Mordkommission traf sich gegen drei und tauschte die dürftigen Ergebnisse aus: Weder hatten Erkner und Verónica Estebán Valero in seiner Firma angetroffen, noch waren Berger und Nowak auf der Suche nach Ben Mangold fündig geworden.
„Wollen wir eine Fahndung ausschreiben?“
„Nach wem? Nach Vater und Sohn? Weshalb? Die Fingerabdrücke von Ben Mangold können uralt sein, und von Valero haben wir nicht einmal welche, um zu überprüfen, ob er am Tatort war. Geschweige denn Zeugen, die sie gesehen hätten! Die beiden sind unsere einzigen Verdächtigen, das ist alles.“
„Estebán Valero hat sich heute morgen telefonisch krank gemeldet und behauptet, er müsse zum Arzt. Sein Wagen steht nicht auf dem Parkplatz, das Hotel hat er heute morgen um neun verlassen, sein Handy ist ausgestellt.“ Frank Erkner seufzte. „Und es gibt keinen Hinweis darauf, wo er sein könnte.“
„Was, wenn er sich mit dem jungen Mangold trifft?“, mutmaßte Berger.
„Möglich. Du denkst auch, dass die beiden wissen, dass sie Vater und Sohn sind?“ Inge Nowak blätterte in der Akte vor sich, in der sämtliche Informationen abgeheftet waren, die sie bisher beschafft hatten. „Und dass Erika Mangolds Tod etwas damit zu tun hat?“
„Das würde auch erklären, weshalb ihr Mann sie getötet haben könnte. Nehmen wir mal an, er hat es nicht gewusst“, sagte Erkner.
„Er hat es aber gewusst“, klärte Nowak ihn und Verónica auf und gab kurz das Gespräch mit Mathilde Taylor, der Schwester von Erika Mangold, wieder. „Das heißt, wir brauchen eine neue Strategie.“
„Und mehr Informationen über Ingo
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