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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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sieht er mir dann so ähnlich? Er hat meine Augen, glaubst du, ich bin blind?“
    „Wenn alle Jungs in seinem Alter in Berlin mit dunklen Augen von dir wären, dann müsstest du ziemlich viel Alimente zahlen! Und nun lass mich in Ruhe, ich bin nämlich verabredet und ich komme ungern zu spät.“
    „Erika … “
    „Lass mich sofort los, sonst hole ich die Polizei. Das hätte ich schon vor zwanzig Jahren tun sollen.“
    „Ich warne dich. Du weißt nicht, wozu ich fähig bin!“
    „Doch, das weiß ich. Und nun verschwinde aus meinem Leben. Und zwar für immer.“
    „Wenn er mein Sohn ist, finde ich es heraus. Und dann gnade dir Gott.“
    Ben war auf dem Sprung, aber dann wurde die Innentür aufgerissen und er konnte gerade noch zur Seite springen, als Valero die Tür ins Freie aufstieß, hinter der er stand. Für einen kurzen Moment hatten sich die beiden in die Augen gesehen, dann hatte der Ältere sich abgewandt und war mit schnellen Schritten davongeeilt. Ben hatte noch einen Augenblick gezögert, bevor auch er im Gedränge der nahgelegenen Fußgängerzone verschwand.
    Sein Vater war also nicht sein leiblicher Vater und seine Mutter enthielt ihm seinen Erzeuger vor. War das wichtig? Sooft er versuchte, in den nächsten Tagen und Nächten diese Antwort vor sich selbst zu verneinen, spürte er einen Widerwillen. Natürlich ist es wichtig, flüsterte eine Stimme in ihm, es ist wichtig, es muss wichtig sein, wenn es ein Geheimnis ist. Geheimnisse waren immer Geschichten, die eine Wahrheit in Frage stellten, so wie die von Kopernikus, der bewies, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Sonnensystems steht, sondern die Sonne. Doch der clevere Astronom befürchtete, sich bei seinen Kollegen lächerlich zu machen, und hatte Angst, sich gegen die Glaubenssätze der Kirche zu stellen. Er weihte nur wenige in seine revolutionären Studien ein. Die Wahreheit war noch nie für Einfältige gedacht gewesen. War er jetzt der Dumme, dem man nicht zutraute zu verkraften, dass die Erde, auf der er stand, sich plötzlich anders drehte? Dachte seine Mutter, er hätte Angst, herunterzufallen, wenn er dahinter käme, dass der feste Boden unter seinen Füßen keine gerade Fläche war? Für wen hielten sie ihn? Für einen kleinen Jungen? Einen Idioten? Oder waren es doch seine Eltern selbst, die nicht ertrugen, dass ihre Gewissheit ins Schwanken geriet und mit ihr das flache Weltbild, in dem sie es sich gemütlich zurechtgemacht hatten? Wie konservativ war seine moderne Mutter, dass sie sich schämte für einen unehelichen Sohn von einem Ausländer? Estebán Valero. Ein wohlklingender Name und sein Träger ein gutaussehende Mann. Es stimmte: Sie hatten die gleichen dunklen Augen, und das Gesicht des Mannes kam ihm vertraut vor. Er kannte es aus dem Spiegel.
    Seiner Mutter ging er von da an so gut es ging aus dem Weg. Seltsamerweise war kein Bedürfnis in ihm erwachsen, sie zur Rede zu stellen. Es war eher so, dass er in eine Seifenblase abgetaucht war und versuchte, die neue Erkenntnis einzukreisen: Seit er es wusste, verschlang er alles zum Thema Vater-Sohn-Bindung, was er zu fassen bekam, von psychologischen Ratgebern über philosophische Abhandlungen bis hin zu griechischer Mythologie. Außerdem hatte er Valero auf der Firmenwebsite von Intershop gefunden, mit Bild und kurzem Profil. Während im Erdgeschoss Ingo Mangold, der nicht mehr sein Vater war und doch immer sein Vater bleiben würde, sich seinem Ende näherte, war Estebán Valero, der niemals sein Vater werden konnte, ein Stockwerk höher auf dem Bildschirm erschien. Ihm hatte man den Sohn weggenommen und ihn einem anderen in die Wiege gelegt. Hatte Ingo Mangold davon gewusst, als er Erika Klinger heiratete? Oder war er, Ben, ein Kuckuckskind? Würde diese Tatsache bei seiner Entwicklung eine Rolle gespielt haben, war er so und nicht anders, weil er immer schon gespürt hatte, nirgendwo hinzugehören? Wie nannte man das Phänomen, wenn das, woran man glaubte, sich als Schwindel herausstellte und dennoch keine Lüge war? Moralphilosophisch betrachtet hatte seine Mutter sicher aus hehren Motiven gehandelt. Oder nicht? Er musste das herausfinden, und derjenige, von dem er darüber Auskunft wollte, war Estebán Valero. Lange hatte Ben nicht überlegen müssen, wo er ihn finden würde: über kurz oder lang in der Nähe seiner Mutter. Dort heftete er sich an seine Fersen: Parkte Valero im Dunkeln vor dem Haus, saß Ben unweit davon im Garten und beobachtete ihn mit einem Fernglas

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