Töten Ist Ein Kinderspiel
erfährt.“ Sie angelte nach ihrer Tasche und den Zigaretten, die in einer ledernen Umhüllung steckten. Inge Nowak hätte gerne von dem Angebot, eine davon zu nehmen, Gebrauch gemacht, lehnte aber höflich ab. „Ben ist Valeros Sohn.“
Berger und Nowak sahen sich schnell an. Und nun wusste die Kommissarin, was sie in den letzten Tagen immer wieder verwirrt hatte: das Gefühl, Estebán Valero schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Dabei war es Ben gewesen, an den er sie erinnerte.
„Wer wusste das?“
„Eigentlich niemand außer mir und Ingo.“
„Sicher?“ Berger kombinierte schnell.
„Ganz sicher. Erika und Ingo hatten eigentlich die Abmachung, es Ben zu sagen, wenn er achtzehn würde. Sie haben es dann aber noch hinausgezögert, dann wurde Ingo so krank, und sie haben sich entschieden, dass Erika erst nach Ingos Tod mit ihm darüber sprechen sollte.“
„Hat Ihre Schwester Ihnen von dem Treffen mit Herrn Valero erzählt?“
„Sie wollte überhaupt nicht mit ihm reden. Aber er hat nicht locker gelassen. Er muss etwas geahnt haben. Als er sie direkt gefragt hat, hat sie alles abgestritten und ihn für übergeschnappt erklärt.“
Bei dem Wort übergeschnappt musste Inge Nowak an Sara denken, die zur stationären Behandlung in ein nahegelegenes Krankenhaus eingewiesen worden war, nachdem sie trotz der Medikamente nicht zur Ruhe gekommen war.
„Kümmern Sie sich weiter um Sara?“
„Natürlich. Sie bleibt noch ein paar Tage in der Krisenintervention, es ist sehr wichtig, dass sie jetzt unter psychologischer Beobachtung ist. Im Moment geht es nur darum, den Schock zu dämpfen. Sie hat eine lange schmerzliche Reise vor sich. Wenn wir in London sind, wird sie in therapeutische Behandlung müssen, und ich hoffe, dass meine Familie und ich die schlimmsten Folgeschäden abfedern können. Beide Elternteile innerhalb so kurzer Zeit zu verlieren, ist ein einschneidendes, schwer zu verarbeitendes traumatisches Erlebnis.“
„Können Sie Ihre Nichte denn so einfach mitnehmen?“
„Ingo und Erika haben mir schon vor Jahren die Vormundschaft übertragen, für den Fall, dass ihnen etwas zustoßen sollte, solange sie noch minderjährig ist.“
„Und was ist mit Ben?“
„Für Ben auch. Aber er ist erwachsen. Und er wird hierbleiben wollen. Unser beider Verhältnis ist nicht besonders gut. Der Junge ist ein Eigenbrötler.“
„Wo ist er überhaupt?“
„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn seit gestern Abend nicht mehr gesehen.“
Alarmiert sah Inge Nowak zu ihrem Kollegen, der bereits aufstand und sein Handy aus der Hosentasche holte.
Ben hatte eine Antenne für Lügen. Es war, als ob die Worte, die er hörte, eine andere Farbe bekämen, wenn sie nicht der Wahrheit entsprachen. Es gab helle und dunkle Töne und es gab solche, die er signalrot vor sich sah. Die Antwort seiner Mutter an Estebán Valero hatte ihn fast geblendet.
„Dummes Zeug! Das hättest du wohl gern gehabt – ein Kind von mir! Damit ich bei dir bleibe. Aber ich habe dich nicht geliebt, wann begreifst du das endlich? Im Gegenteil, ich habe dich gehasst. Und heute verachte ich dich für das, was du getan hast!“
Es hatte überzeugend geklungen, aber es war gelogen, das hatte Ben feuerrot durch die Kirchenwand hindurch gesehen, die ihn von seiner Mutter und Estebán Valero trennte. Und er hatte in diesem Augenblick noch mehr gesehen. Das Besondere nämlich, das ihn vom ersten Augenblick an mit seinem Vater verbunden hatte: Er war nicht sein Sohn.
Ben war eigentlich nicht mit seiner Mutter verabredet gewesen, er war nur zufällig in der Buchhandlung um die Ecke. Wenn er sie abholte, so hatte er gedacht, würde vielleicht ein Zuschuss zu den Büchern herausspringen, obwohl sie ihm gesagt hatte, er solle zuerst alles, was sich bei ihm neben dem Bett stapelte, lesen, bevor er neue Lektüre kaufte, aber was verstand sie schon von Philosophie: Manche Schriften musste man einfach haben; die grundlegenden Gedanken zur Phänomenologie von Husserl, zum Beispiel, die er gerade als Taschenbuchausgabe erstanden hatte. Allein das Gefühl, darin nachschlagen zu können, wann immer ihm danach war, ließ sein Herz höher schlagen. Zwar mochte er Bibliotheken und die seiner Fakultät insbesonders, dennoch wollte er das, was er las, auch besitzen.
Die Stimmen hatte er schon gehört, bevor er die große Holztür des Hintereingangs geöffnet hatte, die nur angelehnt gewesen war. Wie angewurzelt war er stehengelieben und hatte gelauscht.
„Und warum
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