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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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Taubheitsgefühl nach, und zum ersten Mal seit über vierzig Stunden entspannte sich Estebán Valeros Körper, beinahe gegen seinen Willen. Er nahm einen warmen Schluck aus der fast leeren Wasserflasche, legte sich auf den Boden, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen.
    Ganz ruhig bleiben, dachte er. Mir kann nichts passieren. Über kurz oder lang wird ihn das Spiel ermüden und er wird damit aufhören. Wird einsehen, dass es nichts bringt. Vernünftig werden. Schließlich ist er mein Sohn. Wahrscheinlich hat er mein Temperament und meinen Dickkopf geerbt. Fast musste Estebán lächeln. Hätte er in dem Alter nicht genauso gehandelt? Wäre davon überzeugt gewesen, dass die Dinge genauso waren, wie er sie sich zurechtgelegt hatte? Sabelotodo , hatte ihn sein Vater genannt – Besserwisser. Mühsam hatte er lernen müssen, dass er nicht dadurch Recht hatte, indem er das, was er für das Richtige hielt, nur möglichst oft und möglichst laut wiederholte. Dass die Dinge anders liegen konnten als in seinem Kopf ausgebreitet und dass es gut möglich war, sich zu täuschen. Dass wahre Größe darin bestand, zuzugeben, Unrecht gehabt zu haben. Sich belehren zu lassen und zu lernen. Supervision, das war das Zauberwort bei Intershop. Sich gegenseitig auf die Finger schauen und die eigene Leistung mit den Augen anderer betrachten. Kritisieren – und was viel schlimmer war – kritisiert zu werden.
    „Du musst nicht alles können, du musst nur fähig sein zu kommunizieren, was du nicht kannst.“
    Kommunikation nach innen und außen, dachte er: Und nun sitze ich hier drin und kein Wort dringt nach draußen. Hermetisch abgeriegelt mein Inneres und Äußeres zu einem Außerhalb, das keinen Laut mehr von sich gibt. Hatte Benjamin ihn vergessen? Warum hatte er die Musik ausgeschaltet – oder war das unbeabsichtigt gewesen? Vielleicht war wirklich ein Stromausfall der Grund für die absolute Stille, die ihm allmählich unheimlich wurde. Wieso hatte er sie vorher als weniger durchdringend empfunden?
    Und da begriff er. Panisch sprang er auf und lief in dem kleinen Viereck umher, tastete sich an den Wänden entlang, hielt sein Ohr daran: nichts. Unbeweglich stellte er sich dorthin, wo er die Mitte des Raums vermutete und lauschte: Nicht das leiseste Summen. Estebán Valero griff sich an den Hals und atmete tief ein. Schweiß lief ihm von der Stirn ins Gesicht, bei Licht hätte sich die nackte Angst darin gespiegelt: Benjamin hatte die Lüftung abgestellt.
    Etwas hatte ihn dazu getrieben. Ein fast orgiastisches Verlangen, das bis in seine Eingeweide vorgedrungen war und ihn erschauern ließ. Einen Schalter umzulegen war einfacher, als einen Abzug zu betätigen.
    Er könnte keinen Menschen erschießen, schon das kalte Metall in seiner Hand hatte ihm Unbehagen bereitet. Zufällig hatte er die Pistole gefunden, auf der Suche nach einer Badehose, die er sich von Marco hatte leihen wollen. Der Freund war gerade in die Ferien aufgebrochen, Ben war vorbeigekommen, um sich ein wenig mit der Wohnung vertraut zu machen. Vielleicht gab es in der Nähe ein Freibad, vielleicht wäre es eine gute Idee, den Kiez kennenzulernen. Am Ende würde er wirklich den Sommer über hierherziehen und dann müsste er irgendwo schwimmen gehen. Die Sportsachen vermutete er bei den Handtüchern und er setzte darauf, dass sich darunter auch eine Boxershorts oder Badehose befinden würde. Stattdessen hatte er, in ein Badelaken eingewickelt, die Pistole samt Munition gefunden. Erschrocken war er und gleichzeitig fasziniert. Alles, was Angst in ihm auslöste, zog ihn zugleich magisch an und er musste es haben. Schon als kleiner Junge hatte er große Spinnen aufgespürt, nur, um sich zu überwinden, sie anzufassen und das Gefühl zwischen seinen Beinen zu genießen, wenn er es geschafft hatte. Der dunkle Keller war solange sein Feind, bis er sich dort ein Zimmer eingerichtet hatte, der tiefe See ein Monster, bis er hindurchgeschwommen war. Es war nicht so, dass er die Furcht verlor, aber das Gefühl der Ohnmacht. Macht ist ein Vermögen, welches großen Hindernissen überlegen ist. Es war derjenige Gedanke gewesen, der ihn in der Vorlesung über Immanuel Kant am meisten gefallen hatte. Seither fühlte er sich dem deutschen Philosophen verbunden. Macht über die Dinge zu haben, bedeutete, ihnen nicht ausgeliefert zu sein, weil man am längeren Hebel saß. Oder eben am richtigen Schalter.
    Erst danach hatte er den Powerknopf der Anlage gedrückt,

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