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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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das Licht gelöscht, die Tür zum Studio geschlossen, seinen Rucksack genommen und war gegangen.
    Er würde nicht mehr zurückkehren.

Siebzehn
    Das kleine Wäldchen war nicht größer geworden; es führte jetzt ein frisch eingeweihter Wanderweg um das Dorf. An seinen Hängen wuchs Wein, Obstbäume standen im Winter wie vielarmige Skelette auf den Feldern und barsten im Sommer vor Sauerkirschen und Äpfeln. Im Mai brachte der wellige Sandboden in Schrebergärten Spargel hervor, während der Flieder unverschämt blühte, lila und weiß.
    Ich war im Juni zurückgekommen. Das Grün der Blätter an den Bäumen in den Vorgärten ließ die Straßen breiter aussehen, ein gepflasterter Gehweg führte zur Ortsmitte, wo ich als Kind vor der Kirche auf einer Bank unter Kastanien gesessen hatte.
    Aus einem unförmigen Klotz, der von einem abgerundeten Zementmäuerchen eingefasst war, quoll an verschiedenen Stellen Wasser. Der Brunnen machte keinen imposanten, eher einen traurigen Eindruck, als bedauerte er es, keine Fontänen spritzen zu lassen. Die Sonnenterrasse des Rathauskellers war mit Waschbetonplatten ausgelegt, unter den dünnen Sohlen meiner Sandalen kitzelten mich die Kiesel im Darübergehen. Erhöht zu sitzen war gut an diesem ersten Tag. Zu betrachten, wer wie über die Fußgängerampel in das Obstgeschäft oder die Raiffeisenbank ging, wie viele es in den Elektroladen trieb oder das Blumengeschäft mit der braunen Markise, vermittelte mir etwas wie Überblick. Der Kaffee schmeckte bitter und die Blicke der Passanten, die zu mir hochschauten, auch. Eine allein stehende Frau mit einer schlecht frisierten Perücke, die sich ohne Begleitung öffentlich ein Stück Kuchen unter der Woche gönnt, ist in Berlin nicht einmal einen Gedanken wert. In Unterlurch war es wahrscheinlich an den Abendbrottischen Gesprächsthema.
    Das Haus stand an der Pariser Straße, zwischen der evangelischen Kirche und der Abzweigung zur Autobahn. Die hatte man nicht Hitler zu verdanken, sie war viel später gebaut worden. Die, die sie als schnellsten Weg in die Stadt nutzten, hatten die Geschichte ohnehin schnell vergessen: Kein Gedenkstein erinnerte 1980 daran, dass man schon vor 1934 niemanden mehr auf dem Jüdischen Friedhof hatte begraben müssen – waren sie nicht alle freiwillig gegangen? Die Stellungen der amerikanischen Alliierten, gegen die ihre Väter bis zum bitteren Ende erheblichen Widerstand geleistet hatten, waren in den Fünfzigern schon zugeschüttet worden. Aus Sicherheitsgründen, wie es heißt.
    Hätte ich all das vorher gewusst, es hätte mich wohl nicht davon abgehalten, wieder Goldfische in den brachliegenden Teich vor unserem Haus zu setzen und Seerosen wuchern zu lassen. Bar jeder Vernunft und im Spießrutenlauf widersetzte ich mich der Tatsache, dass mich hier niemand haben wollte. Ich hatte die Erinnerung mitgebracht. Mit mir zwängte sich das Ausgesparte, das Verschwiegene durch die Mauerritzen, hinein in die Wohnzimmer und Köpfe der Alten, die unbelehrbar ihre Narben zur Schau stellten.
    Manche Spuren von Folter sind unsichtbar. Aber die Seele, die sich während des Überlebens wie ein Schutz um den Körper legt, ist immer spürbar. Sie macht Angst, denn sie ist kühl und befeuchtet die Luft im Vorübergehen. Wie eine flüchtige Umarmung des Todes berührt sie alles Lebendige. Unterlurch wollte mich nicht, denn ich kam aus einer Zeit, für die man dort keine Verwendung mehr hatte.
    Die Wände hatten keine Ohren und die Fenster waren blind. Ich kochte das Wasser ab, bevor ich es trank.
    In meinem Haus standen die Uhren still.
    Erst mit Hannes zog die Vergänglichkeit wieder ein.

Samstagmittag
    Nach einer etwa halbstündigen Überlandfahrt ohne Klimaanlage bei gekipptem Seitenfenster, gab ihnen der Busfahrer ein Zeichen, dass sie angekommen wären. Vor einer, dem Bau nach zu urteilen, recht alten Kirche hielt der Bus und die beiden Frauen stiegen aus. Verónica holte einen kleinen Ausdruck der Wegbeschreibung zum Hotel aus der Tasche und sagte:
    „Ist gleich hier um die Ecke. Wir fragen am besten.“
    Kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, als ein älterer Mann mit Gehstock neben ihr stehen blieb und fragte, ob er helfen könne. Verónica sagte ihm den Namen des Hotels und der Alte deutete auf einen Trampelpfad, der von der Bushaltestelle hinter der Kirche entlangführte.
    „Gehen Sie den Weg, bis es nicht mehr weiter geht, und dann links, da stoßen Sie genau darauf.“
    Tatsächlich mussten Inge und

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