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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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einen Moment habe ich gedacht, er schlägt sie gleich.“ Annegret Hagen seufzte. „Am Ende hat er noch etwas ganz Schlimmes gesagt…“
    „Was denn?“
    Die alte Dame legte den Kopf schief und sah ihn mit großen Augen an. Ihre linke Hand fuhr über ihren rechten Handrücken und umfasste schließlich nervös das Handgelenk.
    „Was genau hat er am Ende gesagt?“
    Jetzt legte Annegret Hagen den Zeigefinger auf ihre Nasenspitze und fragte leise zurück: „Wer?“
    „Der Spanier.“
    „Welcher Spanier?“
    Die Heimleiterin gab ihm ein Zeichen, was so viel bedeutet wie: Es ist vorbei.
    Erkner nickte, stand auf und streckte der alten Frau seine Rechte hin.
    „Vielen Dank, Frau Hagen, Sie haben uns wirklich sehr geholfen!“
    „Fassen Sie mich nicht an! Gehen Sie! Ich weiß genau, was Sie von mir wollen!“ Hilfe suchend sah sich Annegret Hagen um und legte ihre Hand auf den Arm von Diana.
    Diana tätschelte der Frau ihre faltige Hand und lächelte ihr aufmunternd zu. „Wir gehen einfach“, schlug sie vor und half ihr vorsichtig, aus dem Korbstuhl aufzustehen. „Ich bringe Sie in Ihr Zimmer, in Ordnung?“
    Annegret Hagen, die von einem Moment auf den anderen um einen Kopf geschrumpft schien und nun gebückter ging als zuvor, nickte dankbar und hakte sich schnell bei Diana ein.
    Er hasste klassische Musik. Woher wusste Benjamin das? Hatte Erika ihm doch von ihm erzählt und war dies ihre späte Rache? Hatte sie sich selbst getötet und versuchte es ihm nun in die Schuhe zu schieben, damit ihr gemeinsamer Sohn mit ihm ins Gericht ging? Estebán Valero saß in einer Ecke des schwarzen Raums, hielt sich die Ohren zu, doch es nützte nichts. Aus den Lautsprechern drang klar und deutlich, wieder und wieder, die Totenmesse. Was wollte Benjamin damit erreichen? Dass er einen Mord gestehen würde, den er nicht begangen hatte? Sein Sohn würde ihm das Gegenteil ohnehin nicht glauben. Ihn bestrafen wollen für sein angebliches Lügen. Was aber, wenn er zugab, was der Junge von ihm hören wollte? Wie würde die Strafe dann aussehen?
    Die Wahrheit war für Estebán Valero nie etwas anderes gewesen als eine veränderbare Größe. So wie er in seinem Job je nach Zielvereinbarung Ergebnisse präsentierte, verstand er sich auf die Kaschierung der einen oder anderen Begebenheit in seinem Privatleben. Er hatte sich verändert, nachdem er Sandra kennengelernt hatte. Er war davon überzeugt, dass sie einen besseren Menschen aus ihm gemacht hatte. Er war kein Engel, aber er war auch kein schlechter Mensch. Die Zeit, in der er sich hemmungslos und ohne Rücksicht auf Verluste genommen hatte, was er wollte, war lange vorbei.
    „Wenn du von deinem eingebildeten Egotrip runterkommst, dann könnte etwas wirklich Schönes aus uns werden“, hatte Sandra nach den ersten Monaten zu ihm gesagt, und er hatte etwas getan, wovon er überzeugt gewesen war, es niemals zu tun: Er war wie all seine amerikanischen Freunde zu einem Analytiker gegangen. Hatte jede Woche zweimal auf der Couch gelegen und sich reden hören. Über alles und jeden. Nur über Erika nicht. Erika war der Stachel, der in seinem Fleisch stecken geblieben war, sich mit einem Widerhaken festhielt und ihm bei der kleinsten Berührung Schmerzen bereitete. Wie ein Damoklesschwert hatte sie in all den Sitzungen über ihm geschwebt und war nur langsam von ihm gewichen, hatte allmählich Abstand genommen von ihm. Nur langsam war es ihm gelungen, sich als den Mann anzunehmen, der er heute war, und den unzurechnungsfähigen Studenten, den er selbst nicht mehr mochte, zu verdrängen. Am Ende hatte Estebán Valero geglaubt, im Reinen mit sich zu sein. Dabei hatte er nur einen hermetisch abgeriegelten Raum in sich geschaffen, in dem all jene Fakten ruhten, die er aus seiner Lebensgeschichte entfernt oder umgedeutet hatte. Wenn er nach vorn sah, wartete der endlose Horizont auf ihn, blickte er nach hinten, schaute er auf eine sonnenbeschienene Öde ohne Ursprung. Die Weite Patagoniens, die er einmal als Kind betrachtet hatte und die er sich als Passepartout seiner Vergangenheit ausgesucht hatte, beruhigte ihn.
    Plötzlich, als hätte jemand den Stecker gezogen, war nichts mehr von der Musik zu hören. Die abrupt über ihn hereinbrechende Stille schmerzte ihn fast mehr als die lauten Töne. In seinen Ohren rauschte und dröhnte es. Er schaute sich in der Dunkelheit um, rechnete damit, dass es auch heller werden müsste, nun, nachdem es schon ruhig geworden war. Allmählich ließ das

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