Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
zu Wort kommen zu lassen, sprach er weiter:
„Die Familie! Ohne die Familie bist du nichts“, zischte er. „Die Familie ist deine Sicherheit! Also enttäusche mich nicht!“
„Ich hasse dich!“, schrie sie und konnte sich plötzlich nicht mehr zurückhalten. Sie schleuderte das Wodkaglas auf den Boden, schlug mit den Fäusten nach ihrem Bruder, doch dieser parierte die Schläge mit einem angewiderten Gesichtsausdruck und geiferte:
„Der Bulle will unsere Familie zerstören, verstehst du? Geht das in deinen versoffenen Schädel? Er weiß, dass wir zusammenhalten, deswegen agiert er so neurotisch! Er weiß, dass er niemanden hat und wir die Familie! Dafür hasst er uns! Er will mich zur Strecke bringen und damit auch dich und unseren Vater! Tony Braun will alles zerstören, was wir uns aufgebaut haben!“ Bogdan Drakovic schlug seine Hände vors Gesicht und seufzte theatralisch.
„Vielleicht hast du Recht! Vielleicht stimmt es“, gab sie den Widerstand auf. Plötzlich schien alle Energie aus ihrem Körper zu weichen und sie sackte auf dem Sofa zusammen, von einem heftigen Heulkrampf geschüttelt. Bogdan legte fürsorglich den Arm um ihre Schultern und flüsterte:
„Wir müssen zusammenhalten! Ich bin dein Bruder und brauche deine Hilfe! Vater verlässt sich auf uns.“
Als ihr Bruder ihr Apartment verlassen hatte, versuchte Tatjana Drakovic langsam wieder auf die Beine zu kommen. Ihr Gesicht war verquollen, mit der zerronnenen Schminke um ihre Augen wirkten ihre Züge unheimlich und trotzdem verletzlich. Seit Langem hatte sie wieder geweint und schuld daran war diese nächtliche Radiosendung, die Intensität ihres Dialogs. Das hatte eine Saite in ihrem Inneren zum Schwingen gebracht, die sie schon längst für zerrissen und tot geglaubt hatte.
Sie dachte wieder an den Tag, als ihre große Liebe sie von einer Sekunde auf die andere verlassen hatte. Nicht einmal sein Name kam ihr mehr über die Lippen. „Die große Liebe“, das waren jene Zeiten, als sie von Familie und Kindern träumte, von einer Welt in Rosa und Himmelblau, wie so viele junge Mädchen.
Angeblich hatte ihre „große Liebe“ einen tollen Job bei einem Verwandten in Chicago bekommen, die sofortige Abreise war unumgänglich. Es blieb keine Zeit mehr für eine Verabschiedung, nicht einmal für ein kurzes Telefonat. Das hatte ihr Bogdan erzählt. Wochenlang versank sie in tiefen Depressionen, ihr Vater kümmerte sich aufopfernd um sie und dafür liebte sie ihn.
Kein Brief, kein Anruf in all den Jahren. Auch in der Familie wurde diese Episode nie wieder erwähnt. Es war, als hätte es die „große Liebe“ für Tatjana Drakovic nie gegeben. Doch tief in ihrem Herzen war sie noch immer vorhanden. Tief in ihrem Inneren kämpften die Gefühle von Liebe und Hass. Mit den Jahren verebbte der Hass, die Liebe verschwand und übrig blieb eine große Leere.
Leicht schwankend durchquerte sie den Raum, blieb vor ihrer Design-Küchenzeile stehen, öffnete die Schublade, nahm die Umschläge heraus, setzte sich auf den Holzboden und ließ die Bilder herausflattern.
„ Es ist der Obolus zu entrichten, nur dann ist der Fährmann bereit, den Fluss zu queren und an das andere Ufer überzusetzen“, las sie mit zittriger Stimme, kroch auf allen Vieren über den Boden, tastete nach der Wodkaflasche auf der Kochinsel, trank und schluckte, bis sie die Flasche nicht mehr halten konnte und zurückstellen wollte, aber sie schätzte die Entfernung falsch ein, die Flasche zerbarst auf dem Boden in kleine Splitter, die wie winzige Diamanten und blitzende Sternschnuppen auf Tatjana Drakovic regneten. Das Grauen endete für sie niemals.
14. Palma: Der siebte Tag
Der königsblaue Bentley Continental GTC Speed schnurrte wie eine Raubkatze den Passeig Maritim in Palma de Mallorca entlang. Rechts die Kathedrale von Palma, links das offene Meer, das blau und glatt im Sonnenlicht funkelte. Der Bentley passierte den königlichen Yachtklub mit seinen Luxusyachten, die russischen Oligarchen oder amerikanischen Internetmillionären als Spielwiese dienten, beschleunigte atemberaubend schnell mit seinen 610 PS, als er auf die Autobahn Richtung Andratx fuhr. Der Wagen brauste durch die mallorquinische Landschaft, doch Igor Drakovic interessierte sich nicht für malerische Fincas oder futuristische Villen, die auf den Hügeln mit Blick auf das Meer standen.
„Alle sind damals gestorben. Ich weiß das aus zuverlässiger Quelle. Aber wenn sich mein Informant geirrt hat
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