Toggle
müssen Sie eine Austrittshürde überwinden. Ich werde Ihr Ansinnen an das entsprechende Gremium weitergeben. Mehr kann ich nicht tun.«
Er steckte sich eine zweite Gitanes an und ließ die Kippe der ersten zu Boden rieseln. »Sie haben ja keine Aschenbecher im Haus«, merkte er an.
Nach einer Entschuldigung klang es allerdings nicht.
[Menü]
98
INTERMEZZO Neapel
Mittwoch, 23. August 1769
Für Ferdinando Galiani, dessen Lebensmotto nil repente lautete, ›Nur nichts Unvermutetes‹, waren die letzten Monate schwer erträglich gewesen. Seit den ersten Tagen des Jahres 1769 hatte er gespürt, wie ihm der Gegenwind aus der feinen Pariser Gesellschaft ins Gesicht blies. Salonièren wandten sich von ihm ab, Einladungen blieben aus. Schließlich traf ein Schreiben aus der Heimat ein, das ihn zum Vorsitzenden am Obersten Handelsgericht Neapels ernannte. Es trug die Paraphe des Marchese Tanucci, atmete aber den WillenLudwigs XVI ., der seine Macht weit über die Landesgrenzen hinaus auszuspielen vermochte.
Nil repente! Wozu machte man all die Pläne im Leben, buckelte hier und schmeichelte da, wenn doch der Federstrich eines Monarchen genügte, sie außer Kraft zu setzen?
Nun hockte Galiani wieder in Neapel, litt unter der Sommerhitze, freilich noch mehr unter dem Mangel an ebenbürtigen Gesprächspartnern. Gewiss, das Lustschloss des Königs beider Sizilien war in Caserta zu Teilen fertiggestellt und hielt mit seinen geplanten zwölfhundert Zimmern dem Vergleich mit Versailles stand. Doch wer bevölkerte diese Räume? Ein seit Jahrhunderten in feiner Lebensart gedrillter Hofstaat wie in Frankreich? Oder ein italienischer Bauernadel, der es für vornehm hielt, seine wenigen Negersklaven beim Glücksspiel zu riskieren?
Die größte Enttäuschung seiner Rückkehr hatte ihm freilich die Witwe seines früheren Dieners Luigi beschert. In einer schier endlosen Litanei hatte sie ihre Lage beklagt, drei Viertelstunden musste Galiani sie aushalten, bis er dem Schwall ihrer Worte endlich den Verlust seiner Matratze entnahm. Denn nach der Deportation an die Gestade des Kirchenstaates hatte Angelina über zwei Jahre gebraucht, um wieder in die Heimat zurückzufinden, wobei sie unterwegs offenbar zu genügend Geld gekommen war, um nun das Leben einer lustigen Witwe führen zu können. Ob Schmuggelei, Hehlerei oder andere Dienstleistungen dahintersteckten, interessierte den Abbé nicht. Er wollte nur wissen, was mit seinen Druckbögen passiert war.
»Man sagt, die Matratze sei von einer Lumpensammlerin gestohlen worden«, stammelte Angelina unter heuchlerischen Tränen. »Mehr weiß ich nicht, Monsignore!«
»Bah!«, machte Galiani, denn er roch den billigen Wacholderschnaps in ihrem Atem. »Gibt es viele Lumpensammlerinnen in der Stadt?«
»Jede Frau, die die Mäuler ihrer Kinder stopfen muss, hebt auf, was sie findet«, greinte Angelina. »Erst waren es die Franzosen, die im Hafen unsere Lumpen aufkauften, jetzt sind es die Engländer.«
Das wusste Galiani. Seit geraumer Zeit erwog er eine Schrift überden Preisanstieg bei Lumpen. Er hielt ihn für eine Folge jener Sucht, sich in der Beschreibung der Welt zu ergehen, obwohl sich dadurch keine Veränderungen herbeiführen ließen. Die zugleich entstehende Papierknappheit konnte man nur durch britische Lakonie bekämpfen. William Smellie, so hatte Leclerc de Buffon in einem Brief berichtet, plante dem Rätsel ›Frau‹, woman , in der Encyclop æ dia Britannica ganze vier Worte zu widmen: The female of man. Eine schöne Pointe für ein Pamphlet wider die Papierverschwendung.
Galiani vermisste Georges-Louis Marie Leclerc de Buffon. Noch mehr vermisste er Madame d’Epinay, wiewohl ihm die Freudenhäuser Neapels eine reiche Auswahl an jungen Mädchen boten. Die Liaison mit der Epinay war etwas anderes gewesen, ein Bund des Geistes, gekrönt von unschuldigen körperlichen Freuden zweier reifer Menschen.
»Man sucht also die Nadel im Heuhafen«, schloss Galiani aus den Worten der Witwe.
»Monsignore, so eine Suche hat gar keinen Sinn. Bestimmt ist Ihre Matratze längst in einer Londoner Papiermühle zermahlen und zerkocht worden, um daraus ein anglikanisches Gebetbuch zu machen.«
Bloß nicht, dachte Galiani. Ein Gebetbuch wäre wirklich das Allerletzte!
Das Gespräch lag zwölf Wochen zurück. Zehn Wochen war es her, dass Ferdinando Galiani den greisen Kronminister Tanucci um Unterstützung in einer wichtigen Angelegenheit gebeten hatte.
»Sie wollen in den
Weitere Kostenlose Bücher