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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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Enttäuschung aus. Rekonstruktion – das klang nicht nach geistigem Neuland und wagemutigen Gedanken, sondern nur nach ausgetretenen Pfaden.
    »Dafür braucht man doch keinen Geheimbund«, konstatierte Chaim Otto Fünfgeld. Er wandte sich an Galiani: »Da Sie mir Ihren Kummer schon brieflich mitgeteilt hatten, bin ich gestern Abend noch kurz an jenem Ort gewesen, an dem sich Ihre verschollene Schrift unfehlbar würde finden lassen.«
    Er winkte einem Lakaien, flüsterte diesem etwas ins Ohr, woraufhin der Lakai verschwand und nach wenigen Minuten mit einem Holzfässchen zurückkehrte. Der Weinhändler Sbiffio-Trulli musterte es kennerisch und erklärte dann, dieses Süßweinfässchen an die Offizin Raimundi verkauft zu haben, wo es wie viele andere ausrangierte Bütten dazu diente, ungebundene Druckbögen vor Stößen und Feuchtigkeit zu schützen.
    »Sie werden mir nachsehen, Abbé, dass ich nicht zu den tiefsinnigen Geistern gehöre, die Bücher lesen«, meinte der baltische Kaufmann. »Aber als Händler weiß ich aus Erfahrung, dass man rare Stücke am ehesten beim Erzeuger findet.«
    Er ließ den Lakaien das Fässchen öffnen. Ein eng gefalteter Druckbogen lag darin.
    »Signor Raimundi, Ihr Drucker, hat selbstverständlich ein Exemplar der Schrift zu eigenen Zwecken zurückgehalten. Einerseits, um nach Ihrem Tode eine Abschrift davon in Umlauf zu bringen und daran ganz alleine zu verdienen. Andererseits, weil er sich der Zensurbehörde verpflichtet hat, nicht nur ihr Zuträger, sondern auch ihr Archivar zu sein. Das ist ein häufig geübter Brauch. Bitte sehr!«
    Er überreichte Ferdinando Galiani ein Werk, das dieser zwar geschrieben, aber fünfzehn Jahre lang nicht mehr in den Händen gehalten hatte.
    »Kolossal«, staunte der Empfänger. »Da sieht man wieder, wie beschränkt ein Einzelner ist, wenn er sich nicht in allen Bereichen des Lebens auskennt.«
    So sorgsam, als handle es sich um eine biblische Offenbarung, entfaltete er den Druckbogen und legte ihn ins ausgetrocknete Gras des Schlossparks. Dann bedeutete er seinen Gästen, auf die Knie zu gehen und sich der Lektüre hinzugeben. Leclerc de Buffon ließ essich nicht zweimal sagen, die anderen folgten zögernd. Sechs Lakaien nahmen eines der Sonnensegel und spannten es über der Lesegesellschaft auf. Sie waren gewohnt, keine Fragen zu stellen. Aber sie freuten sich schon, diese lächerliche Szene in die Kaschemmen Neapels zu tragen.
    Am Nachmittag verwandelte sich die Gruppe endlich in die angekündigte Versammlung von Peripathetikern. Man spazierte die etwa zwei Kilometer lange Sichtachse vom Palast zum Wasserfall entlang, und obwohl die geplante Brunnenlandschaft noch unvollendet war, ließ sich ihre künftige Pracht erahnen. Eine Pracht, wie sie nur Monarchien hervorbrachten, in denen der Wille des Einzelnen nicht vom Gegenwillen vieler Opponenten zersetzt wurde.
    Schwer beeindruckt von Galianis Formel und ebenso schwer beunruhigt von den Umsturzberichten des Chaim Otto Fünfgeld, der überall auf der Erde Throne wackeln und Reiche wanken sah, schwor die Bruderschaft der geheimen Freunde, kryptoi philoi, über Aufstände und Umbrüche, Revolten und Revolutionen hinweg den Geist der gerechten Ungleichheit zu bewahren, bis zu jenem Tag, an dem das Unfehlbare System zur perfekten Lenkung der Welt jene Experimente ablösen würde, die bis dahin Schindluder mit dem Glück der Menschheit getrieben haben würden. Die Bruderschaft schwor, ihr Wissen über Generationen nur an ausgewählte Hüter der Intelligence weiterzugeben, die keinesfalls weiblichen Geschlechts sein durften.
    Über diesen Punkt kam es schließlich doch zum Streit.
    »Messieurs, ich kann nicht ausschließen, dass den Frauen Klugheit zuwächst, wenn man sie an den Schätzen der Bildung teilhaben lässt«, argumentierte Galiani, ganz seiner Herzensdame verpflichtet. »Schon Platon hat das in der Politeia so formuliert.«
    Der Naturforscher Leclerc de Buffon war entschieden anderer Meinung: »Die Frau ist ein Tier, das man mit allem füttern kann – nur nicht mit Bildungsfrüchten!«
    »Wir haben den Hund aus dem Wolf gezüchtet. Warum sollten wir nicht einen Menschen aus der Frau züchten können?«
    Die Argumente wogten hin und her. Schließlich einigte man sich,den 250. Teil von 1000 »anderen Kreaturen«, wie Leclerc de Buffon streng formulierte, zuzubilligen und als Mitgliederanteil zu tolerieren. Da die Regel erstmals nach 249 Männern griff und dies nicht so schnell der Fall sein

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