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Gärten von Caserta eine Gesellschaft geben, Galiani? Mitten im August? In der sengenden Sonne?«
»Keine Gesellschaft … ein Philosophikum.«
»Was verstehen Sie darunter?«
»Die Versammlung kluger Köpfe.«
»Ah, ohne Frauen!« Tanucci schien erleichtert, denn er hatte schon eine Welle von Ohnmachtsanfällen vorhergesehen. »Und woher nehmen Sie, mit Verlaub, in Neapel all die klugen Köpfe, um die Gärten von Caserta zu füllen?«
»Uns genügt ein kleiner Teil der Anlage. Wir werden, währendwir denken und reden, darin wie die alten Griechen herumwandern. Peripathie nennt man das.«
»Peripathie, soso.« Der Kronminister war sich unschlüssig. »Noch einmal, Galiani: Woher nehmen Sie die klugen Köpfe?«
»Ich lade sie aus Frankreich ein. Es wäre hilfreich, wenn die königliche Schatulle dafür eine kleine Reisebeihilfe zur Verfügung stellte.«
»Aber warum nur?«, fragte Tanucci, mehr erstaunt als empört über das dreiste Ansinnen.
»Weil man höfischen Glanz nicht durch die Errichtung von Prachtbauten erzeugt, sondern ausschließlich durch die Bestückung der Gebäude mit den richtigen Menschen. Das ist die Lehre, die mir Versailles erteilte.«
»Nun, nun!«, entgegnete der Kronminister, »Sie wollen keine Gebäude bestücken, sondern nur die Gärten von Caserta beleben!«
»Meine Gäste taugen leider nicht für königliche Prachtbauten. Sie sind zumeist Bürgerliche und eben … Peripathetiker.«
Am Ende der Audienz war es Galiani gelungen, dem greisen Kronminister eine zweitägige Gesellschaft in den Gärten von Caserta samt Lakaien, Bewirtung, Beherbergung der Gäste und Übernahme ihrer Schiffspassagen ab Marseille abzuringen. Unwägbar blieben das Wetter – im August allgemein kein Problem – und die Frage, ob es die vornehmlich aus Paris anreisenden Besucher in so kurzer Zeit bis Neapel schaffen würden.
Im Hafen war ein sardisches Schiff vor Anker gegangen, eine Brigg, die Bauholz und Kork brachte und – wie sollte es auch anders sein? – auf eine Rückfracht mit Lumpen spekulierte. Wegen ihrer ordinären Ladung hatte sie nur wenige Passagiere an Bord, doch sieben davon nahmen eine Diligence zu Galianis Stadthaus gegenüber dem Palazzo Como. Es waren der Naturforscher Leclerc de Buffon, der Tuchhändler Chaim Otto Fünfgeld, beide in langen Reisen erfahren und deswegen nicht sonderlich über die rustikale Passage verschnupft, sowie fünf weitere Pariser Bekannte des neapolitanischen Diplomaten. Dagegen fehlten Madame d’Epinay, der Galiani unter männlichem Decknamen ebenfalls eine Einladung hatte zustellen lassen, sowieVoltaire und Diderot. Sie zogen es vor, die Welt in ihren Werken zu beschreiben, ohne sie zuvor mühsam inspiziert zu haben.
»Züchtigt eure Intelligenz, lernt zu weinen über die Wunden des Herrn, werft eure Bücher weg!«, rief Galiani seinen Gästen euphorisch entgegen, als er sie im größten seiner eher bescheidenen Räume willkommen hieß. »Ich hatte, offen gestanden, mit mehr Beteiligung gerechnet, aber so erliegen wir wenigstens keiner Selbsttäuschung: Wir waren wenige, wir sind wenige und wir werden wenige bleiben.«
»Was ist denn das für ein Begrüßungsspruch«, knurrte Leclerc de Buffon. »Ich denke, Neapel hat seine Jesuiten zum Teufel gejagt! Man kommt sich ja vor, als beträte man ein Kloster.«
»Oh, vergesst nicht, kryptoi philoi, in Neapel zählt ein Abbé mehr als im gottlosen Paris. Die Leute achten auf Kleinigkeiten. Demütig will euch die Heilige Kirche sehen, nicht naseweis wie ein Galilei oder Kopernikus!« Galiani bekreuzigte sich flüchtig. »Doch damit lassen wir es bewenden. Darf ich euch Francesco Sbiffio-Trulli vorstellen? Er ist der einzige Einheimische, der sich meiner Gunst erfreut. Zugegeben, vor Jahren noch hielt ich ihn für einfältig, weil er als Händler den Geist des Weines besser kennt als den der Bücher. Aber ich habe mich in ihm geirrt! Erstens kann es angenehm sein, hin und wieder aus Büchern auf- und in den Geist des Weines einzutauchen, zweitens lässt sich auch unbelesen denken.«
»Wohl wahr«, bestätigte Chaim Otto Fünfgeld. »Ich lese bevorzugt Kontobücher.«
»Da haben unsere Kaufleute etwas gemeinsam!«, spottete Galiani. »Alors, copains! Ich will den Augen meiner geheimen Freunde nicht verbergen, dass sich das Leben eines neapolitanischen Handelsrichters in erzwungener Genügsamkeit vollzieht. Wer meinen Abstieg mit garstigen Worten kommentieren will, bevor wir ins prächtige Caserta
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