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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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durch seine Kleinwüchsigkeit von anderthalb Metern kaum bis unter die Brust reichte. Das Antlitz des Kronministers trug die Züge vornehmen alten Adels, derer das Gesicht des Jüngeren gänzlich entbehren musste. Ihm war von der Natur eine viel zu große Nase in eine kindliche Fratze gepflanzt worden, und wegen seiner sprunghaften Art, sich zu bewegen, wies er mehr Ähnlichkeit mit einem Äffchen als mit einem erwachsenen Manne auf.
    »Vielleicht erhalten Sie bald Gelegenheit, neuerlich zu reisen«, sagte Tanucci. »Auf Kosten der Krone.«
    Galiani spitzte die Ohren. Er wusste, dass der noch junge Monarch Karl III ., der durch den Spanischen Erbfolgekrieg auf den neapolitanischen Thron gekommen war, peu à peu seine Gesandtschaften in Europa erweiterte. Obwohl absehbar war, dass er in wenigen Jahren Neapel verlassen würde, um die Thronfolge in Madrid anzutreten, stürzte ihn sein politischer Ehrgeiz in hohe Kosten. Der Palastbau machte nur ein Teil dessen aus.
    »Würde Ihnen Paris gefallen?«
    Galiani machte eine abfällige Handbewegung: »Paris! Paris ist der Ort, den man in zwanzig Jahren an zweiter Stelle hinter Neapel nennen wird.«
    »Aber bis dahin ließe es sich dort leben?«
    »Unter Umständen, ja … unter Umständen.«
    Der junge Mann wollte sich nicht in die Karten blicken lassen. Vielleicht war alles nur eine Finte.
    Zu seinem Leidwesen unterbrach der Ältere das Gespräch und deutete auf eine Lagerstätte grob behauener Steinquader am Wegesrand. Galiani legte fragend seine Stirn in Falten, Tanucci nickte auffordernd. So raffte der Jüngere seine Hosenbeine und stakste durch den Kot, während sich der Minister umdrehte und den Domestiken winkte, die beiden im gebührenden Abstand gefolgt waren. Zwei kräftige Lakaien eilten herbei, um den großen, dicken Mann unter sichtlichen Mühen über eine verschlammte Stelle zu heben, während ein dritter Lakai zwei halbhohe Quader mit Kissen zu Sitzbänken auspolsterte.
    »Diese Bauinspektionen sind eine mühselige Angelegenheit«, stieß Tanucci kurzatmig aus. »Da hat man gerne jemanden an seiner Seite, der einen geistvoll unterhält.«
    »Sollte sich Ihre Aufmerksamkeit nicht besser den Arbeitern zuwenden?«
    »An dieser Bemerkung erkennt man die Unerfahrenheit der Jugend.« Der Sechzigjährige orderte mit einer Handbewegung ein weiteres Kissen bei seinen Lakaien. »Es kommt ausschließlich darauf an, dass die Arbeiter auf mich aufmerksam werden. Das spornt sie zu höherer Leistung an, weil sie dann wissen, dass das Auge des Königs auf ihnen ruht. Nun los!«
    »Pardon – womit?«
    »Man sagte mir, sie seien ein begabter Rhetor. Für den diplomatischen Dienst ist eine gewisse Kunstfertigkeit im Umgang mit Argumenten notwendig. Ich bitte um eine Kostprobe.«
    »Aber«, wandte Galiani ein, »dazu brauche ich einen Widerpart.«
    »Sie halten mich für unfähig, Ihren Argumenten ein Paroli zu biegen?«
    »O nein!«, beeilte sich Galiani zu versichern.
    »Gut, erste Runde: Diebstahl ist unmoralisch.«
    Galiani leckte sich bedächtig über die Lippen. »Das müssen Sie sagen, Sie sind der Kronminister.«
    »Mhm. Schwache Replik.«
    »Durchaus nicht. Bekanntlich gilt die Krone in den Augen der Bevölkerung als der größte Dieb überhaupt.«
    »Moral wird nicht vom Volk gemacht.«
    »Ich stimme Ihnen zu.«
    Galiani betrachtete das wogende Treiben auf dem durchwühlten Feld. Erst jetzt nahm er wahr, dass die Arbeiter durchaus nicht nur aus Männern und Negersklaven bestanden. Mindestens ein Viertel der fünfhundert – tausend? – Menschen auf der Baustelle brachte von Natur aus nicht die nötige Kraft auf, Steine zu schleppen, Fundamente auszuheben oder schwere Balken nach oben zu hieven. Es waren Frauen und Kinder.
    »Diebstahl ist einleuchtenderweise unmoralisch«, begann er, »solange wenige Diebe unterwegs sind. Ab einer gewissen Schwelle wird Gegendiebstahl zwangsläufig.«
    »Aha.« Tanucci klang desinteressiert.
    »Wenn sich die zugrunde liegende Eigentumsregel als unhaltbar erweist, weil die Mehrheit der Menschen stiehlt, kann Diebstahl auch nicht länger unmoralisch sein. In einer Gesellschaft aus Briganten ist dauerndes Stehlen sogar moralisch geboten, da diese Gesellschaft nur durch Umverteilung am Leben erhalten wird. Hier wäre der Nichtdieb der Unmoralische, weil er den Kreislauf stört.«
    »Nutzen unsere Gesetze allen Menschen?«, fragte der Kronminister weiter, ohne mit einem Wort auf Galianis Ausführungen einzugehen.
    Es sollte wohl eine

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