Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toggle

Toggle

Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
Vom Netzwerk:
davon gewusst, wäre ihm der Kragen geplatzt, doch der Toggle-Chefstratege befand sich in diesem Moment im Speisesaal von Schloss Mellau beim Frühstück und hatte alle elektronischen Geräte abgeschaltet. Die Erdbeobachtungssatelliten Ikonos und Quickbird 2 sahen also, ohne im eigentlichen Sinne etwas sehen zu können, sie waren schließlich Maschinen, wie Professor Sterzel seinen Dresden-Klotzsche am Flughafen Tegel bestieg, wie drei BMW 7er Limousinen vom Flughafen München Franz Josef Strauß in Richtung Alpen aufbrachen und wie am Münchner Hauptbahnhof ein VW Phaeton zwei einsilbige Professoren aufnahm, die sich im EC zwar längst erkannt, aber wegen eines nicht allzu lange zurückliegenden akademischen Schlagabtauschs nicht begrüßt hatten. Und natürlich entdeckten die Erdbeobachtungssatelliten Ikonos und Quickbird 2 auch jedes Detail größer als 80 Zentimeter auf den Straßen der oberitalienischen Metropole Turin.

[Menü]
    18
   Turin
Montag, 26.   Juli, 9   :   30
    Vor der Tür des Juristischen Seminars der Università degli Studi di Torino, kurz Unito , rauchte Guiseppe Arcimboldo seine dritte und unwiderruflich letzte Zigarette, bevor das Ferienseminar zur Geschichte des europäischen Völkerrechts begann. Zwölf Teilnehmer, deren Motivation er nicht recht nachvollziehen konnte – das Seminar war irrelevant fürs Libretto , das offizielle Studienbuch –, hatten sich mitten im Sommer dafür angemeldet. Glücklicherweise überwogen die Studentinnen, was seine Laune ein wenig besserte, denn wie die meisten italienischen Männer war Arcimboldo von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugt. Tatsächlich unterschied er sich aber in nichts vom farblosen universitären Mittelbauangestellten, der überall auf der Welt an seiner schlaffen Körperhaltung erkennen ließ, dass er jegliche Ambitionen auf höhere Weihen längst aufgegeben hatte. Dottore Arcimboldo war zwar ein leidlich gebildeter Rechtshistoriker, der noch beim großen Noberto Bobbio Vorlesungen gehört hatte, doch als gebürtiger Neapolitaner zeigte er sich prekären Nebengeschäften nicht ganz abgeneigt. Privat hatte ihm das oft genutzt, beruflich war es ihm im eher puritanischen Norditalien bislang wenig förderlich gewesen.
    Der Dozent trat seine Zigarette auf dem schmutzigen Pflaster der Via S.   Ottavio aus und wandte sich seufzend zum Gehen. Der einzige Trost der kommenden zwei Wochen bestand darin, dass er jenseits seines Universitätsgehalts ein hübsches Sümmchen dazuverdiente, weil ihm ein ehemaliger Student ein zwar schwer nachvollziehbares, aber gänzlich unverfängliches Projekt vorgeschlagen hatte.
    »Dottore, ist es im Grunde nicht ganz gleichgültig, womit man die historischen Betrachtungen übers Völkerrecht beginnt?«
    »Überhaupt nicht! Wir fangen bei den Römern an, auch wenn wir Turiner sind. Rechtsgeschichte beginnt immer bei den Römern.«
    »Sie sind aber kein Turiner, Dottore. Sie sind Neapolitaner.«
    »Ich wüsste nicht, was das mit meinem Seminar zu tun hätte.«
    »Fangen Sie Ihren Corso doch diesmal mit einem Neapolitaner an.«
    Guiseppe Arcimboldo hatte sich am Telefon keine Blöße geben wollen, indem er bekannte, von historisch bedeutsamen Rechtsgelehrten seiner Heimatstadt nichts zu wissen. Doch der Appell an seinen Patriotismus erschien ihm wie der Auftakt zu einem Eine-Hand-wäscht-die-andere-Hand - Geschäft, mit denen er wohlvertraut war. Also verabredete er sich mit dem ehemaligen Studenten Piero Guglielmi, an den er nur noch eine verschwommene Erinnerung besaß. Man traf sich bei Al Bicerin an der Piazza della Consolata. Zwischen einem Haufen lärmender deutscher Touristen erklärte ihm der geschniegelte junge Mann – auch das Gesicht erschien Arcimboldo unvertraut –, er arbeite inzwischen für Toggle Inc., den großen amerikanischen Suchmaschinenbetreiber, und betreue dort den italienischen Zweig der sogenannten Buchsuche.
    Davon hatte Arcimboldo schon mal was gehört.
    »Das ist hervorragend!«, freute sich Piero Guglielmi und krempelte seine Sakkoärmel um, damit Arcimboldo registrieren konnte, dass sie knöpfbar waren. Der Rechtshistoriker nahm davon keine Notiz.
    »Dottore, wir würden Sie bitten, mit Ihren Studenten ›Das Recht der Neutralität‹ von Abbé Galiani zu lesen. Aus rein wissenschaftlichen Gründen, versteht sich!«
    Galiani?
    Arcimboldo runzelte die Stirn. In einem entfernten Winkel seines Gedächtnisses meldete sich ein schwacher Impuls. Ja doch: Ferdinando Galiani, ein

Weitere Kostenlose Bücher