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Art Prüfung sein.
»Das wäre paradox«, antwortete der Prüfling eifrig, »denn Strafgesetze schaden ja den Straftätern. Verfasste man sie so, dass sie auch den Straftätern nicht schadeten, würden sie den Nichtstraftätern nichts nutzen.«
»Sehr richtig!«, meinte Tanucci und verscheuchte mit seinem Gehstock ein paar Dohlen, die sich zu seinen Füßen niederlassen wollten. Er schien auf die Fortsetzung der Ausführungen zu warten. Galiani machte weiter:
»Die Illusion des Nutzens für alle entsteht nur dadurch, dass die Menschen unterschiedliche Erwartungen an die Gesetze haben und später deren Auswirkungen verschieden bewerten. Andererseits hat der Fürst Montesquieu in seiner Schrift De L’esprit des Loix, deren freizügigen Geist ich absolut nicht teile, unlängst geschrieben: ›Wesentlich ist, dass der Wortlaut der Gesetze in allen Menschen die gleichen Vorstellungen weckt.‹«
Galiani warf einen prüfenden Blick auf Tanucci. Der Name Montesquieu hatte dem Kronminister nicht das kleinste Zucken entlockt.
»Das ist auch wiederum wahr! Wir verleihen unseren Gesetzen den Anschein von Gleichheit, um gleichen Nutzen für alle vorzuspiegeln. Gäbe es allerdings ein scharf diktiertes Gesetz ohne jeglichen Spielraum für den Richter, würde erkennbar werden, dass ein Gesetz niemals allen zugleich nützlich sein kann, weil die Menschen nicht gleich sind.«
»Womit wir bei einem Punkt angelangt wären.«
Der Kronminister gab seinen Domestiken erneut ein Handzeichen. Der Älteste von ihnen öffnete einen geflochtenen Weidenkorb, in dem Galiani bis zu diesem Moment die Wegzehrung vermutet hatte, und beförderte ein von weißem Leinen umhülltes Paket zutage.
»Geschickterweise wichen Sie vorhin der direkten Antwort aus, Signor Galiani, als ich Sie auf die umlaufende Fama in der Stadt hinwies«, sagte Tanucci und ließ sich das Paket überreichen. »Die Fama, dass Ihre Auffassungen über den Wert des Menschenlebens von der Meinung der Kirche und der Krone abweichen.«
Dem Jüngeren wurde etwas mulmig zumute.
»Der Ausgangspunkt dieser Fama lässt sich ziemlich exakt lokalisieren«, setzte der Kronminister seine Rede fort. »Es ist der Ort, an dem Schriften für den König und für vermögende Privatleute gedruckt werden, die Offizin des Signor Raimondi. Sie wissen sicherlich, junger Freund: Wer sich in die Hände eines Druckers begibt, begibt sich in die Öffentlichkeit, selbst wenn man dem Drucker Schweigsamkeit auferlegt. Dem Zensor ist er nämlich auch verpflichtet, und dies im Allgemeinen ein Quäntchen stärker als dem Auftraggeber.«
Galiani erschrak.
»Ich bin Ihnen gewogen«, versicherte Tanucci und legte seine Hand väterlich auf die Schulter des Jüngeren. »Ihr Onkel ist ein alter Freund von mir. Er überzeugte mich, dass Ihr brillanter Kopf im Staatsdienst gezügelt gehört. Es ist ja stets die Frage, wo so ein heller Kopf am meisten Nutzen bringt.«
Mit einem Ruck zerriss er das weiße Leinen und legte mehrere zusammengefaltete Bögen teuren Hadernpapiers frei. Selbst hier draußen an der freien Luft machte sich sofort der stechende Geruch frischer Druckerschwärze breit.
»Ihre Eitelkeit hat Sie viel gekostet«, stellte der Kronminister fest. »Wie viele Exemplare dieser Schrift musste Ihnen Raimondi drucken?«
»Hun … hundert«, stammelte Galiani. »Ich dachte …«
»Sie dachten in Ihrer jugendlichen Unüberlegtheit, Sie würden den Prix de morale der Académie de Dijon gewinnen und wollten dann sofort mit den gedruckten Bögen auf dem Markt sein.« Der Kronminister fixierte ihn scharf. »Aber Sie werden den Prix de morale nicht gewinnen! Denn ich habe mir erlaubt, die Beteiligung in Ihrem Namen zu stornieren. Zu dieser Stunde dürfte man Sie bereits aussortiert haben.«
»Zu stor …«
»Der Staatsdienst ist eine zu wichtige Angelegenheit, um sich den Weg dorthin durch juvenilen Überschwang zu verbauen. Schauen Sie sich an, welche Pracht hier entsteht! Neapel wird groß werden, und Sie werden ein Teil von Neapels Größe sein … ein keineswegs unbedeutender.«
Galiani fasste sich wieder. Natürlich wollte er in den Staatsdienst. Er war kein Abkömmling einer reichen Familie, er musste seine schmalen Pfründe noch erweitern. Und Gesandter in Paris zu sein … das wog schwerer als ein provinzieller Prix de morale, dessen Preisträger das Publikum nach einem Jahr wieder vergessen haben würde.
Dem stand allerdings der Inhalt seiner Schrift entgegen.
»Haben Sie einen Blick
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