Toggle
jeden Namen hatte sie ein Häkchen gesetzt. Bis auf einen.
»Tut mir leid«, sagte Melissa, »aber der Sterzel aus Dresden muss weg.«
Holzwanger löffelte nachdenklich die Schaumkrone seines Cappuccino ab. »Warum? Er ist berühmt. Kennst du seine Thesen zum digitalen Schatten? Sie treffen genau ins Zentrum unserer Fragestellung. Kritisch zwar, aber wir wollten ja –«
»Sorry, er bildet als Einziger eine Schnittmenge zwischen der ersten und der zweiten Liste.«
»Welcher zweiten Liste?«
»Der Ausschlussliste.« Melissa piekste ein mikroskopisch kleines Stückchen Kuchen auf ihre Gabel. Sie aß zum ersten Mal am Tag, so maßvoll, wie es ihr Ernährungsplan vorsah. Holzwanger hatte sich schon daran gewöhnt, obwohl er als Vater einer Tochter ansonsten alarmiert auf jedes Anzeichen von Magersucht reagierte.
»Ich kenne keine Ausschlussliste«, widersprach er.
»Brauchst du auch nicht. Weinberger hat sie mir schon vor unserer Videokonferenz gemailt. Rein firmeninterne Sache.«
»Ich werde mit ihm telefonieren!«, sagte Holzwanger angriffslustig.
»Tu das. Bringt aber nichts. Such dir lieber gleich eine Alternative. Dafür ist der ganze Rest picobello! Ich hab alle durchgetoggelt. Boltzmann-Medaille, Erwin-Schrödinger-Preis, Harnack-Medaille, Prix Descartes, Balzan-Preis –«
»… und einmal Nobel«, fügte Holzwanger hinzu. Dann nahm seine Stimme einen besorgten Klang an: »Weinberger klang so, als solle die Sache in einem wahren Affentempo über die Bühne gehen.«
»26. bis 30. Juli«, bestätigte Melissa. »In zwei Wochen. Deswegen ist auch dein Urlaub gestrichen.« Sie machte eine Kunstpause. »Dafür gibt’s aber eine attraktive Entschädigung. Wir tagen an einem der schönsten Orte Deutschlands, auf Schloss Mellau bei Garmisch.«
Holzwanger war perplex.
Schloss Mellau gehörte zu den begehrtesten Luxusressorts in den Alpen. Im Sommer wie im Winter war es stets ausgebucht, obwohl sich Normalsterbliche die Zimmerpreise kaum leisten konnten.
»Das kriege ich so kurzfristig nicht hin«, wandte er besorgt ein. »Ganz abgesehen davon, dass ich Pia jetzt nicht alleine mit den Kindern nach Fünen fahren lassen kann.«
»You have a problem – we guide you to the answer«, deklamierte Melissa Stockdale den Firmenslogan. »Mach dir keine Sorgen! Wenn Toggle etwas braucht, bekommt Toggle es auch. Von dir erwarteten wir die fachliche Expertise. Die haben wir gekriegt. Und natürlich musst du den Kongress moderieren. Alles andere erledigt Valley Hills.«
»Aber Nobelpreisträger stehen kaum Gewehr bei Fuß, nur weil ein x-beliebiger Konzern sie anruft.«
»Alles andere erledigt Valley Hills«, wiederholte Melissa in einem Tonfall, der weitere Fragen ausschloss. Sie schob ihren Teller von sich weg. »Und was die Entschädigung angeht: Ihr bekommt eine Riesensuite auf Firmenkosten für die ganze Familie, eine Woche lang. Schloss Mellau ist ein Paradies für kinderreiche Familien, sie nennen sich spaßhaft Elterngenesungsheim. Eine Wellness-Oase der Spitzenklasse! Deine Frau wird es lieben.«
Dass es sich dabei um ein Paradies für reiche Kinder handelte, verschwieg Holzwangers Chefin. Mit dieser Herausforderung musste sein Nachwuchs schon selber fertig werden.
»Und jetzt Schluss mit der Debatte!«, beendete Melissa das Treffen. »Ich habe deiner Tochter versprochen, ihr mein geschmackvoll eingerichtetes Büro zu zeigen. Sie ist nämlich kein so langweiliger Weiße-Wände-Asket wie du. Wolltest du dich nicht mit Weinberger herumstreiten?«
Das hatte Holzwanger völlig vergessen.
Der Toggle-Chefstratege befand sich irgendwo auf einem Flugplatz, und es klang beinahe so, als stünde er direkt neben einer warmlaufenden Turbine. Erwartungsgemäß reagierte er unwirsch auf Holzwangers telefonischen Vorstoß: »Angenommen, Doc, Sie sind Stalin: Würden Sie Hitler zum Mitglied Ihres Generalstabs machen?«
»Was soll denn der Vergleich!«, protestierte Holzwanger.
»Ach, kommen Sie! Sterzel hat uns neulich mit Myface in einen Topf geworfen. Ganz abgesehen davon, dass allein diese Kombination eine Unverschämtheit darstellt, behauptete er auch noch, wir würden denen in Sachen Heimlichtuerei nicht nachstehen! Ich würde Sterzel kein Mineralwasser ausgeben, geschweige denn ihm ein teures Konferenzhonorar bezahlen.«
Myface war ein Problem für Toggle. Der kalifornische Nachbar bewegte sich zwar nicht auf den gleichen Geschäftsfeldern – Toggles Kernkompetenzen lagen im Suchmaschinenbereich, Myface
Weitere Kostenlose Bücher