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hinzu. »Nur Fußvolk begibt sich in Tiefgaragen. Allein der Gestank dort!« Er schüttelte angewidert den Kopf.
»Dann warten wir«, entschied der Russe.
»Schon gehört?«, murmelte Flüeli leise. »Die Tote von gestern war schwanger. Habe ich aus uniformierten Kreisen erfahren.« Er blinzelte in Richtung eines dunkelblauen, älteren BMW , der hinter dem letzten Mercedesbus parkte. »Die Kripo holt den Techniker zum Verhör ab. Man hat ihn mit der Toten streiten sehen.«
»Ist das wichtig für uns?«
»Mh«, machte Flüeli unbestimmt. »Was ist nicht wichtig?«
Im Hoteleingang erschien der ergraute Kriminalbeamte vom Vortag und führte den Togg-Jockey Erik im Schlepptau. Keiner von ihnen erweckte den Eindruck, unter besonderem Stress zu stehen. Ja, Erik schien sogar über einen Witz des Kriminalbeamten zu lachen. Beide steuerten den BMW an.
»Ich frage mich«, sinnierte Fünfgeld, »ob der Moderator von gestern wirklich so gut ist. Wenn er so gut wäre, dann sollte er hier seine Führungsqualitäten beweisen.« Er beschrieb eine ausladende Handbewegung über die Menschenmenge. »Sie sehen ja, Flüeli, wohin es führt, wenn man all diese Teilchen ohne Katalysator miteinander reagieren lässt.«
Tatsächlich trat in diesem Moment Nikolaus Holzwanger aus dem Hoteleingang. Allerdings nicht, um eine Führungsrolle einzunehmen, sondern um seine vier Kinder zum unteren Hotelparkplatz zu bringen. Die Freifläche war Personalautos, Lieferwagen und den schäbigeren unter den Gästekarossen vorbehalten. Dort stand der grüne, leicht verbeulte Sharan der Familie Holzwanger.
»Durchgefallen«, grinste Flüeli hämisch, als der Vater mit seinen vier Kindern an ihnen vorbeigegangen war.
Sein Chef wiegte nachdenklich den Kopf: »Sie haben keinen Nachwuchs, Flüeli, deswegen unterschätzen Sie das Potenzial. Normalerweise braucht man je Kind einen Betreuer.« Er lachte schadenfroh: »Jedenfalls im Westen.«
Zehn Minuten später hatten sich wie durch ein Wunder doch noch alle Podiumsteilnehmer in der Hotellobby eingefunden. Der letzte Kleinbus verließ mit schwarzblauen Dieselschwaden die Auffahrt, und der Hotelfotograf scheuchte die Gruppe nach draußen. Als es ihm endlich gelungen war, alle acht Personen so zu arrangieren, dass man ihre Gesichter und den charakteristischen schwarzen Steinquaderbrunnen auf dem Bild erkennen konnte, bat Joachim Sterzel um eine kurze Unterbrechung. Er eilte in die Lobby, kehrte mit einem schweren Karton zurück und verteilte daraus an jeden seiner Kontrahenten ein Exemplar des ›Digitalen Schatten‹. Da keine Melissa Stockdale mehr darüber wachte, dass das Toggle-Foto frei von konkurrierenden Botschaften blieb – und der Fotograf das Buchrequisit für eine Absicht des Auftraggebers hielt –, ging das Kalkül auf. AlleProfessoren präsentierten mehr oder minder deutlich den Bestseller vor ihrer Brust. Platon revisited , leuchtete in roter Schrift der Untertitel auf.
»Wer jetzt lacht, hat verloren!«, rief der Fotograf laut.
Der Trick funktionierte wie immer.
Nur bei einem nicht.
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65
Der Mann hatte etliche Dinge getan, die nicht zu ihm passten. Er hatte das Zugrestaurant aufgesucht, obwohl er wusste, dass dort nicht gekocht, sondern nur Vorgekochtes nachgegart wurde. Er hatte ein Buch aufgeschlagen, das von einem Idioten stammte – nie las er Bücher, die seine Intelligenz unterforderten – und darin beifallsüchtige Sätze gelesen wie: »Boxen ist die Ermittlung des Unterschieds zwischen Liegen und Stehen.« Er hatte, weitaus schlimmer, auf einem Gruppenfoto posiert, das, wenn etwas schieflief, von jemandem auf Myface eingestellt wurde, wo ihn wiederum jemand auf dem Bild markieren und damit dingfest machen konnte. Myface merkte sich diese Markierung für alle Zeiten und setzte sie in Beziehung zu anderen Markierungen auf anderen Fotos, die – würde es je dazu kommen – ihn ebenfalls zeigten. Er vermochte sich nicht unsichtbar zu machen. Er war eine Person des öffentlichen Lebens, wenngleich in bescheidenem Maße.
»Die Fahrscheine, bitte!«
Der Mann nestelte seine altmodisch am Schalter gekaufte und in bar bezahlte Fahrkarte hervor. Niemals buchte er etwas im Netz per Kreditkarte.
»Vielen Dank, gute Reise!«
Am Morgen hatte der Mann mehrere unerfreuliche Telefonate geführt. Nun überblickte er das Wirrwarr. Schon Anfang Juli war das Buch, das er sicher aufbewahrt in der Berliner Asservatenkammer wähnte, aus der Lagerhalle in Prützke
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