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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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ihr Mann.
    Pia grunzte leise. Dann war sie eingeschlafen.
    Früher hatten die Menschen Tod und Schlaf gleichgesetzt, dachte Holzwanger. Der Schlaf galt als kurzer Tod, der Tod als langer Schlaf. In den Schlaf wie in den Tod konnte man nichts aus der Welt hinübernehmen, doch das Internet schlief nie, und es gab nie wieder etwas her, das es sich einmal einverleibt hatte.
    Bevor es ihm gelang, diese Analogien auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen, war er selbst entschlummert.

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    67
   INTERMEZZO Neapel
Mittwoch, 21.   Januar 1767
    Wider alle jahreszeitlichen Rhythmen und damit wider die Natur brummte die grünlich schillernde Schmeißfliege im Zimmer auf und ab, hin und her, auf und ab. Sie landete auf der Stirn des Kranken, krabbelte zu seinen feuchten Augen, ließ sich vom matten Lidschlag kurzzeitig vertreiben, flog wieder auf und ab, hin und her, auf und ab. Dann landete sie erneut, labte sich am Schweiß seinerSchläfe und an den getrockneten Speichelfäden links und rechts der Mundwinkel. Stoisch und stupide tat sie, was ihr der Schöpfer als Aufgabe übertragen hatte: in emsiger Geschäftigkeit den Tod anzukündigen.
    Luigi wusste, was ihm bevorstand. Am Tag zuvor hatte er an Cinzia erlebt, wie sein geliebtes Mädchen erst aufgeblüht war, in hitziger Freude mit hochrotem Gesicht und einem fröhlichen Lachen durchs Haus rannte … um dann innerhalb dreier Viertelstunden wie eine Blume zu verwelken. Das Fieber hatte die Siebenjährige in Windeseile hinweggerafft und ihre Seele zum Herrn befohlen. Nun lag der kleine Leichnam aufgebahrt in der Stube nebenan, und Luigi wusste, dass es nur noch eine Frage von Stunden sein würde, bis sein eigener Körper den Platz neben der Tochter einnahm, ebenso kalt, ebenso steif, mit gekämmtem Haar und einem Rosenkranz in den gefalteten Händen.
    Das Fieber hatte keinen Namen, weil niemand ihn auszusprechen wagte. Es war mit den Schiffen aus Afrika gekommen, und Luigi, der seit der Abreise seines letzten Dienstherrn, des ehrwürdigen Abbé Galiani, eine kleine Garküche am Hafen betrieb, musste sich bei den Seeleuten angesteckt haben. Dass es die kleine Cinzia vor ihm dahingerafft hatte, schrieb er ihrem zarten Wesen zu. Schon als Säugling war sie ihm engelsgleich vorgekommen, so gar nicht von der kräftigen Konstitution ihres Vaters gezeichnet, eher vom Kleinwuchs und der Zartgliedrigkeit seines früheren Patrons.
    Luigi richtete sich im Bett halb auf. Obwohl es an diesem Januartag des Jahres 1767 für neapolitanische Verhältnisse bitterkalt war – am Morgen hatte Angelina sogar eine dünne Eisschicht im Waschtrog zerstoßen, bevor sie die Stirn ihres Mannes mit Wasser benetzen konnte –, fror er nicht ein bisschen. Im Gegenteil, er fühlte eine brennende Hitze in sich aufsteigen.
    Seine letzte Stunde brach an.
    »Angelina, Täubchen«, rief er mit brüchiger Stimme.
    Nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, drückte sich eine schwarzgekleidete Matrone in den halbdunklen Raum. Nach der Geburt der kleinen Cinzia hatte es der Leib seiner Frau verabsäumt, wenigstens einen Teil der mütterlichen Fülle an die Natur zurückzuerstatten. Anfangs war Luigi das als schwere Bürde des Ehelebens erschienen und hatte ihn in die Arme einiger Hafendirnen getrieben. Jetzt, in Trauerkleidung, wirkte seine dicke Frau sogar tröstlicher, als es ein knöchernes Gespenst getan hätte. Fülle verkörperte Leben. Dürre verhieß den Tod. Niemand wollte im Sterben an den Tod erinnert sein.
    Angelina hielt einen Rosenkranz in den Händen. Er winkte ab. »Hilf mir!«, stieß er hervor. »Ich muss mich erheben.«
    »Bleib liegen«, sagte sie halb sanft, halb herrisch, und drückte ihn auf die Matratze nieder.
    »Ich muss mich erheben«, wiederholte er und spürte, wie die innere Hitze seine lahmen Muskeln befeuerte. Er beugte seinen Oberkörper vor, bis er mit den Händen die nahe Tischkante erreichte. Dann zog er sich hoch. Angelina machte einen Schritt auf ihn zu und griff ihm unter die Arme.
    »Das ist töricht«, schalt sie. »Leg dich wieder nieder!«
    Er schüttelte den Kopf. »Die Matratze«, ächzte er. »Klopf sie aus und bring sie den Jesuiten! Der Padre hat es befohlen.«
    »Du fantasierst«, befand sie nachsichtig und zwängte ihm den Rosenkranz in die Hände. »Padre Jelpo war noch gar nicht da! Er hat zu viel zu tun, Gott sei’s geklagt. An jeder zweiten Tür klopft der Tod an.«
    »Der Abbé, Monsignore Galiani«, keuchte Luigi. »Es ist sein Stück

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