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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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weiter. In dieser Jahreszeit regnete es fast nie, doch sorgte das kühle Pazifikklima für erträglichere Temperaturen, als sie sonst für diesen Breitengrad typisch gewesen wären.
    Auf dem Weg zum Büro nickte Weinberger jedem Entgegenkommenden freundlich zu. Bei fast 6000 Beschäftigten in der Firmenzentrale konnte er sich keine Gesichter merken, sondern sah nur sich ähnelnde Mienen gut gelaunter junger Menschen in allen Hautfarben. Offensichtlich fiel es niemandem schwer, den größten Teilseines Lebens im Toggleplex zu verbringen. Bei all den Annehmlichkeiten der Anlage – 15 Cafés, Freizeit- und Sportanlagen, Kinderbetreuung, Massage- und Friseursalon sowie einem Schwimmbad mit eigenem Bademeister – verwunderte das auch nicht. Allerdings war es bei so einer Zahl an Mitarbeitern unmöglich herauszufinden, was diese in ihren Büros trieben, welche Mails sie untereinander verschickten, mit wem sie chatteten. Wenn sie Videokonferenzen abhielten oder sich auf den Konkurrenzseiten von Myface tummelten, erfuhr außer den Beteiligten selbst davon niemand. Toggle Inc. überwachte seine Angestellten nicht.
    Sehr zum Bedauern Weinbergers.

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    70
   Valley Hills
Freitag, 30.   Juli, 9   :   45
    Samyia Prakesh war kurz zusammengezuckt, als sie der Blick des Toggle-Oberen im Park zwischen den Gebäuden streifte. Zwar war sie es gewohnt, eindringlich gemustert zu werden – weit und breit war sie die einzige Frau mit dem Bindi auf der Stirn –, doch der flüchtige Blick Weinbergers hatte ein lauerndes Misstrauen enthalten. Instinktiv hatte sie ihm jenes strahlende »Hi!« entgegengeschleudert, mit dem sich Amerikaner gegenseitig zu entwaffnen pflegten, bevor sie ihre eigentlichen Arsenale öffneten, doch das war ein überflüssiger Reflex gewesen. Aggressionen kamen bei Toggle nicht vor, weder untereinander noch upside down. Man war nicht umsonst beim begehrtesten Arbeitgeber der Welt beschäftigt.
    Die Inderin schloss einen Raum auf, der seltsamerweise die deutsche Bezeichung Datenschutzbeauftragter trug, was auf Samyia Prakeshs Vorgänger an diesem Ort hindeutete. Jedem stand es frei, seinem Büro neben der alphanumerischen Bezeichnung auch einen mehr oder minder witzigen Spitznamen zu verleihen, und manche davon verloren sich nicht mehr. Sie fungierten dann als kryptische Codes, die nur von ausländischen Besuchergruppen verstanden wurden.
    »Hi Samyia!« Ein kurzgeschorener Collegeboy kam den Gang entlang geschlendert und grüßte die schwarzhaarige Schöne mit ihrem roten Punkt zwischen den Augen. Er zog einen Stöpsel seines iPods aus dem Ohr.
    »Hi, Steve.«
    »Brauchst du wieder besonders viel Bandbreite heute?« Steve verwaltete die IT – Ressourcen des Gebäudeteils.
    »Sieben Leute.«
    »Immer noch die alte Geschichte?«
    Die Inderin nickte.
    »Geht ja mächtig lange bei euch! Wann launcht ihr endlich?«
    Samyia Prakesh zuckte mit den Schultern.
    »Na dann viel Glück!«
    Der IT – Manager steckte den Kopfhörer wieder ins Ohr und stapfte mit rhythmisch wiegenden Schritten davon. Samyia betrat ihr Büro, fuhr den 27-Zoll-Mac hoch und startete ein von Toggle entwickeltes Videokonferenzprogramm. Dann sah sie auf die Uhr. Noch zwei Minuten.
    Sie gähnte und überlegte, ob ihr noch Zeit blieb, sich im Café Gandhi eine Mangolassi zu holen. Doch nach und nach ploppten in sechs Fenstern Gesichter auf. Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis sich die Züge aus ihrer elektronischen Starre gelöst hatten, dann erwachten sie zum Leben. Nur ein siebtes Fenster kämpfte mit Störungen. Das Bild blieb schemenhaft.
    Die 39. Konferenzschaltung des Projekts Pandemie hatte begonnen, was freilich niemanden beunruhigen musste. Bei Toggle hatte es auch schon eine Arbeitsgruppe Weltuntergang gegeben, die sich mit der rabenschwarzen Vision einer Erde ohne E-Mail beschäftigte. Trotz der hinderlichen Zeitunterschiede zwischen fünf Kontinenten waren alle Teammitglieder versammelt. Das unterstrich die Attraktivität des Projekts.
    »LogIn hat Dringlichkeit angemeldet«, sagte NoReply alias Samyia Prakesh.
    Das Team agierte mit Aliasnamen, weil dies der Wunsch von LogIn gewesen war. Sie hatte ihn organisatorisch begründet, da sie als Mitglied mehrerer Teams sonst ihre Datenströme nicht saubergetrennt bekäme. Als Nebeneffekt kannte keiner den Klarnamen der anderen. Aber das war im Grunde überflüssig. Die Chancen einer leibhaftigen Begegnung blieben gering. Niedere Toggle-Chargen reisten nicht, moderne

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