Tokatas Todesspur
Arm und auch seine Finger lang ausstrecken mußte, um mit den Spitzen das Papier zu berühren. Mehr gelang ihm nicht, denn er konnte nicht zugreifen und das Päckchen an sich heranziehen. Zudem hatte es keine Verschnürung, um die er hätte einen Finger drehen können. Die Ware war in durchsichtige Folie eingeschweißt worden. Er streckte sich noch mehr. Hart preßte er seinen Körper gegen den Container, biß die Zähne zusammen, sein Gesicht verzerrte sich dabei, und er schaffte es.
Mit zwei Fingern bekam Oleg das Rauschgift-Päckchen zu fassen. Jetzt konnte er es zu sich heranziehen. Er strengte sich ungemein an, keuchte und fluchte auch. Als sich das kleine Paket bewegte, da atmete er auf.
Er hätte es lieber bleiben lassen sollen, dann hätte er vielleicht noch eine Chance gehabt. So aber hatte sich Tokata schon zu weit vorgewagt, er mußte es tun.
Hoch hob er den rechten Arm. Sein Schwert hielt er so, daß die Klinge glatt nach unten fahren und den Mann mit einem Schlag töten konnte.
Oleg hatte das kleine Päckchen. Er zog es hervor - jetzt ging es sogar besser -, umfaßte es mit beiden Händen und richtete sich auf.
Instinktiv spürte er die Gefahr. Vielleicht war es auch das Dunkle, das hinter ihm stand und das einfach nicht in diesen Laderaum paßte, in dem es hell war. Auf jeden Fall kreiselte er herum und wollte sich gleichzeitig zurückwerfen. Da schlug Tokata zu.
Oleg, der Matrose, kam nicht einmal dazu, einen Schrei auszustoßen. Er spürte nur den unglaublichen und unbeschreiblichen Schmerz, der oben am Kopf begann, sich weiter fortpflanzte und in der Unendlichkeit zu münden schien. Ein Land, aus dem es keine Rückkehr mehr gab. Das Reich des Todes…
Oleg starb zwischen den Containern, und er wußte nicht einmal den Grund.
Tokatas Todesspur hatte ihren Anfang gefunden…
***
Die Insel des Schweigens!
Vor Hunderttausenden von Jahren hatte sie einmal zum japanischen Festland gehört, war im Laufe der langen Zeit abgetrennt worden und befand sich nun so weit von der Küste entfernt, daß sie selbst bei klarem Wetter nicht mehr zu sehen war. Die Insel des Schweigens!
Ein grauer Fleck in der grauen Unendlichkeit des japanischen Meeres.
Eingehüllt in das Spiel zwischen Wolken und Wind, Schnee und Regen, Sonne und Wärme.
Wo die Brecher am höchsten gegen die Felsklippen tosten, an der Westseite, da befand sich das Zuchthaus. Ein gewaltiger Komplex, angelegt im Karree, das zum Meer hin offen war. Allerdings nicht ungeschützt, sondern durch ein gewaltiges Eisengitter zu den Klippen hin getrennt. Dieses Gitter wurde des nachts elektrisch aufgeladen, und zwei Gefangene, die versucht hatten, es zu überklettern, hatten dies mit ihrem Leben bezahlt. Sie waren verbrannt.
Das Zuchthaus selbst war aus drei Betonklötzen zusammengesetzt.
Graue Mauern mit viereckigen, kleinen Öffnungen, die die Bezeichnung Fenster kaum verdienten. Sie waren nur Scharten oder Luken, wie sie noch an alten Burgen zu besichtigen sind. Dieses Zuchthaus war ein Hort der Gewalt, nicht der Sühne. Wer hierher kam, überlebte entweder und wurde noch brutaler, oder er starb unter dem erbarmungslosen Terror der Gefangenen. Hinter dem Zuchthaus stieg das Land an. Und dort standen auch die leeren Wohnblöcke. Ebenso trist aussehend.
Verrottet, vergammelt mit Schimmelpilz überzogen. Verlassene Straßen, leere Geschäfte, kleine Brücken, die Risse zeigten. Dazu ein Park, der mehr einer Dschungellandschaft glich. Alles war tot und leer. Glas lag auf den Straßen. Es stammte von den eingeschlagenen Fensterscheiben. Menschen hatten hier wie Vandalen gehaust und das meiste zerstört. Ein makabres Andenken einer modernen Zivilisation und Fehlplanung. Dahinter begann der Wald. Die meisten Bäume waren abgestorben. Auf dem rauhen Vulkanboden hatten sie sich sowieso kaum halten können. Den Rest allerdings hatte ihnen die Müllkippe gegeben, die hinter dem Wald lag. Sie war der absolute Schandfleck.
Ein grauenvolles, widerliches, häßliches Andenken der modernen Industriegesellschaft.
Hier schafften die Firmen nicht nur ihren normalen Müll hin, sondern, in Behältern getarnt, auch chemischen Abfall. In den Behältern befanden sich furchtbare chemische Giftstoffe, die eine Natur zum Sterben verdammten.
Die Behälter, so stabil sie auch aussahen, lagerten dort und waren nicht gesichert. Auch die Natur kannte Zerstörung, lautlos arbeitete sie an den abgelagerten Fässern und Kisten. Sie rosteten, aber das war erst der Anfang.
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