Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
sowieso nicht viele Anwälte.
Die Zelle war gar nicht so schlecht. Es gab kein Fenster, und ich registrierte das Verstreichen der Zeit nur anhand der Mahlzeiten, die man mir brachte. Dreimal täglich stellte ein schweigsamer Wachmann mir ein Tablett mit Reis, eingelegtem Fisch und etwas Gemüse hin und nahm das Tablett von der Mahlzeit davor wieder mit. Das Essen war ganz passabel. Nach jeder dritten Mahlzeit durfte ich duschen.
Ich wartete auf mein sechzehntes Essen und versuchte, mir keine Sorgen um Midori zu machen, als zwei Wachleute hereinkamen und mich aufforderten, ihnen zu folgen. Sie brachten mich in einen kleinen Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen. Über dem Tisch hing eine nackte Glühbirne von der Decke. Jetzt wirst du verhört, dachte ich.
Ich stellte mich mit dem Rücken zur Wand. Nach wenigen Minuten ging die Tür auf, und Tatsu kam herein, allein. Er blickte ernst, doch nach fünf Tagen Einzelhaft freute ich mich über ein bekanntes Gesicht.
«Konnichi wa», sagte ich.
Er nickte. «Hallo, Rain-san», sagte er auf Japanisch. «Schön dich zu sehen. Ich bin müde. Setzen wir uns.»
Wir setzten uns einander gegenüber an den Tisch. Er schwieg lange, und ich wartete, dass er anfing zu reden. Seine Zurückhaltung erschien mir nicht sonderlich viel versprechend.
«Ich hoffe, du verzeihst mir die letzten Tage hier in Haft, das hat dich bestimmt überrascht.»
«Kann man wohl sagen; ein Schulterklopfen hätte ich angebrachter gefunden, nachdem ich durch das Autofenster gehechtet bin.»
Ich sah sein typisches trauriges Lächeln, und irgendwie tat es mir gut. «Der Schein musste gewahrt werden, bis ich alles geregelt hatte», sagte er.
«Das hat aber gedauert.»
«Ja. Aber ich habe mich beeilt. Um deine Freilassung zu erreichen, musste ich zuerst Kawamuras CD entschlüsseln lassen, danach etliche Telefonate führen, Treffen vereinbaren, alle möglichen Hebel in Bewegung setzen. Außerdem mussten aus unseren Dateien sämtliche Hinweise auf deine Existenz gelöscht werden, und davon gab es reichlich. Das hat nun mal seine Zeit gedauert.»
«Es ist euch gelungen, die CD zu entschlüsseln?», fragte ich.
«Ja.»
«Und hat der Inhalt deine Erwartungen erfüllt?»
«Sogar übertroffen.»
Ihm lag etwas auf der Seele. Das spürte ich. Ich wartete, bis er weiterredete.
«William Holtzer ist zur Persona non grata erklärt und nach Washington zurückgerufen worden», sagte er. «Euer Botschafter hat uns davon in Kenntnis gesetzt, dass er die CIA verlässt und sich zur Ruhe setzt.»
«Er setzt sich zur Ruhe, mehr nicht? Wird er denn nicht vor Gericht gestellt? Er war Yamaotos Maulwurf und hat die amerikanische Regierung mit falschen Informationen gefüttert. Geht das denn nicht aus der CD hervor?»
Tatsu neigte den Kopf und seufzte. «Die Informationen auf der CD sind keine Beweise, die vor Gericht verwendet werden können. Und auf beiden Seiten besteht der Wunsch, einen öffentlichen Skandal möglichst zu vermeiden.»
«Und Yamaoto?», fragte ich.
«Yamaoto Toshi ist... ein komplizierter Fall», sagte er.
«Kompliziert klingt nicht gut.»
«Yamaoto ist ein mächtiger Feind. Den man indirekt angreifen muss, verstohlen und langsam.»
«Ich verstehe nicht. Was ist mit der CD? Ich dachte, du hättest gesagt, sie wäre der Schlüssel zu seiner Macht.»
«Das ist sie auch.»
Und dann begriff ich. «Du wirst sie nicht veröffentlichen.»
«Nein.»
Ich schwieg einen langen Augenblick, während mir klar wurde, was das bedeutete. «Dann denkt Yamaoto noch immer, sie ist irgendwo da draußen», sagte ich. «Und du hast Midoris Todesurteil unterschrieben.»
«Man hat Yamaoto zu verstehen gegeben, dass die CD durch korrupte Elemente in der Keisatsucho zerstört wurde. Sein Interesse an Kawamura Midori hat somit erheblich nachgelassen. Sie wird in den Vereinigten Staaten sicher sein. So weit reicht Yamaotos Macht nämlich nicht.»
«Was? Du kannst sie doch nicht einfach ins Exil nach Amerika schicken, Tatsu. Ihr Leben ist hier.»
«Sie ist bereits abgereist.»
Ich kam nicht mehr mit.
«Du könntest versucht sein, dich mit ihr in Verbindung zu setzen», fuhr er fort. «Ich rate dir davon ab. Sie glaubt, du seiest tot.»
«Wieso sollte sie das glauben?»
«Weil ich es ihr gesagt habe.»
«Tatsu», sagte ich mit gefährlich ausdrucksloser Stimme, «erklär mir das.»
Seine Stimme blieb ungerührt sachlich. «Ich habe zwar gewusst, dass du dir ihretwegen Sorgen machst, aber ich hatte keine Ahnung,
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