Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
Tatsu.»
«Ich bin Pragmatiker. Mich interessiert nur wenig, in welche Richtung sich das Land bewegt, solange Yamaoto nicht die Hand im Spiel hat.»
Ich überlegte. «Nach dem, was mit Bulfinch und Holtzer passiert ist, wird Yamaoto sich denken können, dass die CD nicht zerstört wurde, dass du sie hast. Er hatte es ohnehin schon auf dich abgesehen. Jetzt wird es noch gefährlicher für dich.»
«Mich kriegt man nicht so leicht, wie du weißt.»
«Du gehst ein hohes Risiko ein.»
«Ich spiele ja auch um einen hohen Einsatz.»
«Du wirst schon wissen, was du tust», sagte ich, weil es mir inzwischen egal war.
Er sah mich an, das Gesicht teilnahmslos. «Es gibt noch einen Grund, warum ich mit dem Inhalt der CD vorsichtig umgehen muss. Du kommst nämlich auch darin vor.»
Ich musste lächeln. «Tatsächlich?», fragte ich und ahmte seine Trottel-vom-Lande-Mimik nach.
«Ich habe lange nach dem Auftragsmörder gesucht, Rain-san -es haben sich einfach zu viele ‹natürliche› Todesfälle ereignet, und alle waren sie für irgendjemanden ausgesprochen praktisch. Ich habe immer gewusst, dass es ihn gibt, irgendwo da draußen, obwohl alle anderen glaubten, ich würde einem Phantom nachjagen. Und jetzt, wo ich ihn gefunden habe, muss ich feststellen, dass du es bist.»
«Was wirst du jetzt machen?»
«Die Entscheidung liegt bei dir.»
«Was soll das heißen?»
«Wie schon gesagt, ich habe alle Beweise für deine Aktivitäten, ja selbst für deine Existenz aus den Dateien der Keisatsucho gelöscht.»
«Aber da wäre noch immer die CD. Willst du mir damit sagen, dass du ein Druckmittel gegen mich in der Hand hast?»
Er schüttelte den Kopf, und ich sah kurz seine Enttäuschung über meinen typisch amerikanischen Mangel an Feingefühl. «Ein solches Druckmittel interessiert mich nicht. So gehe ich nicht mit Freunden um. Außerdem kenne ich dich und deine Fähigkeiten, ich weiß daher, dass der Einsatz eines solchen Druckmittels sinnlos und möglicherweise gefährlich wäre.»
Erstaunlich. Der Kerl hatte mich ins Gefängnis gesteckt, hatte die CD nicht veröffentlicht, obwohl er es mir quasi zugesichert hatte, hatte Midori nach Amerika geschickt und ihr erzählt, ich wäre tot, und trotzdem schämte ich mich, weil ich ihn beleidigt hatte.
«Es steht dir somit frei, zu deinem Schattenleben zurückzukehren», sprach er weiter. «Aber ich frage dich, Rain-san, ist das wirklich das Leben, das du willst?»
Ich sagte nichts.
«Ich muss dir sagen, ich habe dich nie ... ganzheitlicher erlebt als damals in Vietnam. Und ich glaube, ich weiß auch warum. Weil du im Grunde deines Herzens ein Samurai bist. In Vietnam hast du gedacht, du hättest deinen Herrn gefunden, die Aufgabe, die mehr bedeutet als du selbst.»
Was er da sagte, traf einen Nerv.
«Du warst nicht mehr derselbe Mann, als wir uns nach dem Krieg in Japan wiedersahen. Dein Herr muss dich grausam enttäuscht haben, dass du zum Ronin geworden bist.» Ein Ronin ist wörtlich übersetzt jemand, der auf den Wellen treibt, ein Mensch ohne Ziel. Ein herrenloser Samurai.
Er wartete auf meine Antwort, aber es kam keine. Schließlich sagte er: «Ist das, was ich sage, unrichtig?»
«Nein», gab ich zu und musste an Crazy Jake denken.
«Du bist ein Samurai, Rain-san. Aber ein Samurai kann nicht ohne Herrn Samurai sein. Der Herr ist das Yin zum Yang des Samurai. Das eine kann ohne das andere nicht wirklich existieren.»
«Was willst du mir sagen, Tatsu?»
«Mein Kampf gegen das, was Japan plagt, ist noch lange nicht zu Ende. Mit der CD verfüge ich nun über eine wichtige Waffe in diesem Kampf. Aber das wird nicht genügen. Ich brauche dich an meiner Seite.»
«Du verstehst das nicht, Tatsu. Man wird nicht von einem Herrn verraten und verkauft und sucht sich dann einfach einen anderen. Die Narben sind zu tief.»
«Welche Alternative hast du?»
«Die Alternative, mein eigener Herr zu sein. Wie bisher.»
Er winkte ab, als wolle er von so einem Unsinn nichts hören. «Das ist den Menschen nicht möglich. Genauso wenig, wie Fortpflanzung durch Masturbation möglich ist.»
Seine untypische Derbheit verblüffte mich, und ich lachte. «Ich weiß nicht, Tatsu. Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann. Du bist ein gerissener Hund. Schon allein was du alles ausgeheckt hast, während ich im Gefängnis saß.»
«Ob ich gerissen bin und ob du mir trauen kannst, sind zwei verschiedene Paar Schuhe», sagte er, als Japaner schnell bei der Hand, solche Dinge in Kategorien
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