Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
ein frühes Abendessen habe. Er fand die Idee gut, und ich schlug das Tsukumo Ramen vor, eines der besten Nudelrestaurants in der Stadt. Die Küche von Rio ist wunderbar, aber Ramen sind für mich Essen für die Seele, und im Tsukumo schmecken sie mir mit am besten. Ich hatte das Restaurant vermisst und freute mich über die Gelegenheit, es mal wieder zu besuchen. Auf dem Weg dorthin ging ich in Aoyama noch schnell in ein Internetcafé. Ich hatte eine Nachricht von Delilah.
Dox hatte recht, Gil ist tot. Ich konnte ihn nie leiden, und trotzdem bin ich sehr traurig. Ich weiß nicht, was aus der Welt werden soll ohne Männer wie ihn. Meine Regierung wird natürlich jede Verbindung zu ihm. leugnen. Nur einräumen, dass er Israeli ist. Aber zumindest können seine Angehörigen ihn anständig beerdigen und richtig um ihn trauern. Irgendwann, hoffe ich, werde ich ihnen erzählen können, was passiert ist. Sie sollten wissen, dass er ein Held war. Meine Leute haben dein Honorar entsprechend deinen Anweisungen überwiesen. Sie haben dir die volle Summe für Lavi gezahlt. Sie haben dir außerdem den gleichen Betrag für Al-Jib bezahlt. Plus eine Prämie. Ich weiß nicht, wie es mit mir weitergeht. Es finden zurzeit jede Menge Besprechungen statt, bei denen ich das Thema bin. Im Grojien und Ganzen ist es mir egal.
Ich würde dich gern wiedersehen. Ich hoffe bald.
D.
Ich sah in dem Bulletin Board nach, das ich mit Boaz und Gil eingerichtet hatte. Auch da war eine Nachricht. Sie las sich wie eine Rechnung und entsprach dem, was Delilah mir erzählt hatte. Neben der Summe, die sie als »Prämie« bezeichnet hatte, stand: Nichts für ungut. Mit einem Smiley.
Ich musste fast lachen. Das konnte nur Boaz sein.
Ich sah in dem Konto nach, das ich ihnen genannt hatte. Das Geld war da. Ich überwies Dox die Hälfte von allem, dann machte ich mich auf den Weg zu meiner Verabredung mit Tatsu. Ich würde Delilah später antworten.
Ich nahm ein Taxi nach Hiroo und ging das letzte Stück zu Fuß. Tatsu saß bereits an der Theke, als ich hereinkam. Er stand auf, kam auf mich zugeschlurft und schüttelte mir die Hand. Er hatte ein breites Lächeln im Gesicht, und es tat gut, dass sich jemand freute, mich zu sehen. Dann merkte ich, dass ich ihm das gleiche Lächeln schenkte.
Es war noch früh, sodass wir einen Tisch fanden. Wir bestellten Marukyu-Ramen, aus frischen Nudeln mit hausgemachtem Hokkaido-Mozarella auf einer Miso-Sauce, und für jeden von uns ein Yebisu-Bier. Während des ganzen Essens plauderten wir über Belanglosigkeiten, so wie wir es besprochen hatten, und es beunruhigte mich fast, wie sehr ich es genoss, mit ihm zu reden. Essen in Begleitung wurde langsam zur Sucht.
Als wir mit den Ramen fertig waren und uns ein zweites Bier gönnten, fragte ich: »Ist alles in Ordnung mit dir?« >»In Ordnung«
»Du hast gesagt, du wolltest mit mir über etwas Persönliches sprechen. Was für dich ungewöhnlich ist, wie jeder weiß.« Er schmunzelte. »Es ist alles in Ordnung, danke."
"Deine Familie? Deine Töchter?«
»Es geht allen gut, wirklich. Ich bin inzwischen Großvater geworden, weißt du. Meine älteste Tochter.«
»Ja, bei unserem letzten Gespräch hast du erwähnt, dass sie schwanger war. Ein Junge, richtig?«
Er nickte, und einen Moment lang war die Traurigkeit verschwunden, die ich normalerweise in seinen Augen sah. »Ein wunderhübscher kleiner Junge«, sagte er strahlend.
Ich beugte den Kopf. »Glückwunsch, mein Freund. Ich freue mich für dich.«
Er nickte wieder. »Was ich sagen wollte. Die persönliche Angelegenheit betrifft nicht mich. Sie betrifft dich.«
Ich schüttelte den Kopf, konnte ihm nicht folgen.
Er griff in eine abgewetzte Aktentasche, holte einen Briefumschlag hervor und reichte ihn mir. Ich griff hinein und zog einen dünnen Stapel Schwarzweißfotos heraus. Noch ehe ich irgendetwas Genaues darauf erkannte, fielen mir der leicht verschwommene Hintergrund, die verkürzte Perspektive und die geringe Tiefenschärfe auf: Die Fotos waren mit Teleobjektiv aus großer Entfernung aufgenommen worden.
Sie zeigten Midori an einem Tisch vor einem Restaurant, anscheinend irgendwo in Amerika, vielleicht New York. Neben ihr stand ein Kinderwagen. Auf ihrem Schoß saß ein japanisches Kind, noch sehr klein, das Gesicht ihr zugewandt. Midori machte eine lustige Grimasse - hatte die Lippen gespitzt und die Wangen aufgebläht -, und das Kind fasste lachend nach ihrer Nase.
Mein Herz fing an zu pochen.
Weitere Kostenlose Bücher