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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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interessieren schien, hörte ich auf, darüber zu sprechen. Wir stritten uns. Sie warf mir vor, zu viel Geld für Alkohol auszugeben, und ich wollte nicht zugeben, dass ich es für Frauen ausgab, die sie nicht kannte. Warum? Weil ich fürchtete, dass sie es mir verbieten würde. Wahrscheinlich hätte sie das gar nicht getan, sondern mich unterstützt, aber ich habe ihr keine Chance dazu gegeben.
    Wenn Lügen zum Beruf gehört, dann vergessen Sie, wie wichtig Ehrlichkeit für die Liebe ist.
    Irgendwann fing ich an im Hinterzimmer des Hauses zu schlafen, wenn ich spät nach Hause kam. Da wir das Schlafzimmer mit den Kindern teilten, war Intimität natürlich sowieso erschwert. Eigentlich hatten wir gar kein Schlafzimmer, nur ein Wohnzimmer, in dem wir unsere Futons ausbreiteten.
    Selbst wenn ich früh nach Hause kam, was selten geschah, suchte ich immer öfter nach Gründen, im Hinterzimmer zu schlafen. Dort fühlte ich mich wohler. Denn ich wollte nicht mehr berührt werden, wenn ich schlief.
    Ich merkte, dass ich langsam ausbrannte. Wenn meine Eltern mit mir sprachen, fiel ihnen auf, dass ich zerstreut war. Ich begann darüber nachzudenken zu kündigen und nach Hause zu fahren. Ich hielt dies für eine gute, eine schlaue Entscheidung. Die beste Entscheidung für mich, unsere Ehe und die Kinder.

Zehntausendundeine Zigarette
    Manchmal überrascht es mich, wie oft ich wieder dort lande, wo ich begonnen habe.
    »Hier ist eine Schachtel mit dem edelsten Tabak, den man für Geld kaufen kann«, sagte ich, als Sekiguchi die Tür öffnete, und hob den Beutel mit der Aufschrift »zollfrei« hoch. Er war erstaunt, mich zu sehen – eigentlich sollte ich gar nicht in Japan sein. Aber das kümmerte ihn nicht. Ich war im Januar 2006 gegen fünf Uhr nachmittags unangekündigt bei ihm erschienen. Er war allein zu Hause – zu einer vernünftigen Zeit, was selten vorkam.
    Er musste zweimal hingucken, dann rief er aus: »Jake! Ein gutes
neues Jahr!«
    »Ihnen auch. Ich dachte, ich bringe Ihnen die Neujahrskarte diesmal persönlich vorbei.« Ich überreichte sie ihm. Meine ganze Familie war darauf abgebildet. Es waren nette Fotos von Beni und Ray, meinem Sohn. Sunao und ich sahen zufrieden aus. Wir hatten Grüße auf Japanisch und Englisch auf die Karte geschrieben. Es war wahrscheinlich das erste Mal seit Jahren, dass ich Zeit gehabt hatte, mich hinzusetzen und eine anständige Karte zusammenzustellen.
    Sekiguchi amüsierte sich über unser sechseckiges pseudojapanisches Haus auf den Fotos.
    »Danke für die Karte. Aber haben Sie noch nie etwas von Briefmarken gehört? Oder kennt ihr Barbaren im Mittleren Westen so etwas nicht? Kommen Sie rein. Meine Frau und die Kinder sind beim Einkaufen, sie kommen so in einer Stunde zurück.«
    Ich zog an der Haustür die Schuhe aus, stellte sie so hin, dass die Spitzen zur Tür zeigten, und ging hinein. Dabei sprach ich die obligatorischen Worte » Ojama shimasu « (Entschuldigen Sie bitte die Störung).
    Als ich meinen Schirm an den Kleiderständer hängte, betrachtete er meine Füße. »Heute passen Ihre Socken nicht zueinander. Sunao und die Kinder sind also in Amerika geblieben, oder?«
    Ich lachte. Seine Augen waren scharf wie immer.
    Er dankte mir für die Kiste mit Zigaretten, dann holte er einen Aschenbecher, der erstaunlich sauber war.
    Er zog eine Packung heraus, betrachtete sie sehnsüchtig, zuckte mit den Schultern und öffnete sie. Ich blieb bei meinen Nelkenzigaretten. Er zündete meine Zigarette an, ich seine.
    Sekiguchi legte das Gesicht ein wenig in Falten, als er den Nelkentabak roch. »Diese Dinger riechen jedes Mal wie Weihrauch. Wissen Sie ... noch bin ich nicht tot.« Er inhalierte tief.
    »Was meinen Sie damit?«
    »Waren Sie früher nicht ein kleiner Mönch? Weihrauch wird bei Beerdigungen verwendet. Sie brauchen ihn nicht jetzt zu rauchen, tun Sie es dann für mich, wenn die Zeit gekommen ist. Kein Grund zur Eile. Aber es wird bald so weit sein.«
    »Ist es wirklich so schlimm?«
    »Ja, ich bin so früh zu Hause, weil ich gestern eine Chemotherapie hatte. Ich konnte danach nicht arbeiten. Normalerweise gehe ich jeden Tag hin. Was soll ich auch sonst tun? Golf spielen? Die Ärzte sagen, dass mir noch ungefähr ein Jahr bleibt, vielleicht zwei.«
    Sekiguchis Krebs hatte sich ausgebreitet. Er hatte ausgerechnet im Appendix begonnen und rasch Metastasen gebildet. Eine Zeitlang hatte es so ausgesehen, als wäre er geheilt, aber der Krebs war immer noch da und fraß sich

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