Tokio Vice
Ausflüchte, die ich selbst zu hören bekommen hatte, erklärte, warum die Anweisungen der Nationalen Polizeibehörde nur wertloses Papier waren. Die Fragen, die nach mir gestellt wurden, waren kaum weniger schonungslos.
Am nächsten Morgen erschien mein Artikel über die Konferenz unter der Überschrift »Japan – Königreich des Menschenhandels? Die USA fordern, dass Japan Menschenhandel als Verbrechen behandelt«. Normalerweise schreiben Journalisten ihre Schlagzeilen nicht selbst, aber in diesem Fall hatte ich dafür gesorgt, dass ich die Überschrift bekam, die ich wollte. Dazu musste ich einem der Jungs im Layout nur eine Flasche Sake im Wert von 8 000 Yen kaufen.
Als ich am selben Tag wieder zur Konferenz ging, wartete ein Trio erzürnter japanischer Bürokraten auf mich. Einer war von der Nationalen Polizeibehörde, einer vom Justizministerium und eine vom Außenministerium. Die Dame war offensichtlich mitgeschickt worden, weil sie englisch sprach. Während die anderen hinter ihr standen, wedelte sie mit der Zeitung vor meinem Gesicht herum und schnaubte: »Diese Schlagzeile ist unentschuldbar.« Dabei vergaß sie ganz ihren Auftrag und sprach japanisch.
Ich nahm ihr die Zeitung ab, las die Überschrift und meinte: »Sie haben vollkommen recht, man hätte die Schlagzeile anders formulieren müssen. Das Fragezeichen hinter ›Japan – Königreich des Menschenhandels‹ müsste eigentlich ein Ausrufezeichen sein. Und der Teil über die Amerikaner ist unwichtig. Die Überschrift sollte eher lauten: ›Japan – Königreich des Menschenhandels! So schlimm wie Nordkorea?«
Ich war so richtig in Fahrt, denn ich hatte etwas aufgedeckt, für das ich wirklich kämpfen wollte. Man gewinnt wohl an Ausstrahlung und Macht, wenn man sich auf einem Kreuzzug befindet. Rechtschaffene Wut kann einen Menschen enorm motivieren. Ich hatte bisher sicher einiges getan, worauf ich nicht besonders stolz war, doch im Vergleich zu den »Fleischhändlern«, über die ich schrieb, kam ich mir wie der Dalai-Lama vor.
Ja, ich war wütend. Und es machte mich rasend, dass die japanische Polizei und die japanische Regierung sich nicht um den damals immer weiter ausufernden Menschenhandel kümmern und nichts damit zu tun haben wollten. Der Polizei konnte ich keine großen Vorwürfe machen, denn Gesetz ist Gesetz, und was hätte sie ohne entsprechende Gesetze gegen den Menschenhandel tun können? Das Problem begann nicht bei der Polizei, sondern auf einer viel
höheren Ebene.
Ich dachte wie ein Polizist, der eine Schießerei in der Unterwelt untersucht. Wen interessiert schon der Schütze? Er befolgt ja nur seine Befehle. Wenn man etwas bewirken will, dann muss man die Person schnappen, die den Schießbefehl gegeben hat.
Also beschloss ich, die japanische Regierung so gut ich konnte in Bedrängnis zu bringen.
Das eigentliche Verbrechen bestand in diesem Fall darin, dass der Missbrauch von Ausländerinnen stillschweigend geduldet wurde. Dafür brauchte ich Beweise, und ich hatte auch schon eine Idee. Die von der UNO unterstützte Internationale Arbeitsorganisation (IAO) hatte eine Studie über Menschenhandel in Japan durchgeführt, die von der japanischen Regierung bezahlt worden war. Der Bericht war entlarvend: Japan bestrafte Menschenhändler nicht und kümmerte sich nicht um deren Opfer. Daraufhin befahl die japanische Regierung der IAO, den Bericht unter Verschluss zu halten. Er sollte nie veröffentlicht werden.
Aber ich wusste, dass er existierte, und bekam über gewisse Kanäle eine Kopie. Am 19. November 2004 wurde er zum Aufmacher der Yomiuri . Ich musste für einen anständigen Artikel kämpfen, aber es lohnte sich. Am nächsten Tag schrieb ich noch einen Artikel darüber. Mein Informant verriet mir, dass die Regierung einen Aktionsplan gegen Menschenhandel veröffentlichen wollte und dass mein Artikel sie zu drastischen Änderungen veranlasst hatte, um die Opfer besser zu schützen. Endlich hatte ich als Reporter einmal etwas bewirkt, so gering mein Beitrag auch gewesen sein mochte.
Was Viktor und Slick betraf, gab ich ebenfalls nicht auf. Schließlich wanderten beide in den Knast. Das Drogendezernat war auf Slick aufmerksam geworden und hatte seine Clubs durchsucht – damit war er raus aus dem Geschäft. Und irgendjemand lieferte dem japanischen Zoll und der niederländischen Polizei so viele Informationen über Viktors Geschäfte, dass er bald hinter Gittern saß. Anscheinend verriet jemand seinen Namen auch an die
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