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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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Leiter des Sittendezernats.«
    Der Chef des Sittendezernats hatte eine Kopie meines Artikels auf dem Schreibtisch liegen. Er war ein kleiner Mann mit Kraushaar, einer quadratischen, randlosen Brille und einer dröhnenden Stimme. Ich gab ihm den Spitznamen Curly.
    »Gute Arbeit, Adelstein. Sie sollten Polizist werden.«
    »Danke. Was halten Sie von dem Ganzen? Werden Sie die Kerle verhaften?«
    Er sog Luft durch die Zähne ein und erzeugte so ein Geräusch, das man bei älteren Japanern oft hört, wenn man ihnen eine Frage stellt, die sie nicht beantworten wollen. »Es geht da wohl eher um illegale Einwanderung. Haben Sie denn schon mit der zuständigen Abteilung eins gesprochen.«
    »Die haben mir gesagt, dass Sie zuständig sind, wenn es um Prostitution geht.«
    »Ach, wirklich?«
    »Ja.«
    Curly nahm meinen Artikel in die Hand und überflog ihn.
    »Jake, das Sittendezernat hat eine Menge zu tun. Drogen, Waffen, Lizenzen für legale Sexshops, Schließung illegaler Sexshops und vieles mehr. Selbstverständlich haben wir es hier mit Prostitution zu tun, mit oder ohne Zwang. Sind Teenager unter den Mädchen?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Okay, dann fällt der Aspekt Kinderschutz weg. Ich wollte nur sicher sein.«
    »Und wie geht es nun weiter?«
    »Sie sagen mir, was Sie wissen, vielleicht können wir dann irgendwelche Verstöße gegen das Prostitutionsgesetz nachweisen. Das kostet natürlich Zeit, und für die Beschuldigten ist die Strafe ein Klacks, selbst wenn wir eine Verurteilung erreichen.«
    »Okay.«
    »Noch etwas: Sind alle Prostituierten Ausländerinnen?«
    »Ja.«
    »Tja, in unserer Abteilung gibt es nicht viele Beamte, die Fremdsprachen beherrschen. Das heißt, wir müssen das Dezernat für internationale Kriminalität um Hilfe bitten. Ehrlich gesagt sind diese Kollegen aber nicht besonders scharf darauf, uns zu unterstützen, wenn es um ganz banale Prostitution geht.«
    »Sie können also nichts tun?«
    »Doch, aber es kostet viel Zeit, viel Organisation. Budgetprobleme. Personalprobleme. Sprachprobleme.«
    »Gut, aber ich gebe Ihnen trotzdem, was ich habe.«
    »Ich nehme es, aber vielleicht kann ich nichts damit anfangen.«
    »Aber es sind eindeutig kriminelle Aktivitäten.«
    »Es gibt überall kriminelle Aktivitäten. Und unser Personal reicht gerade dafür aus, ein paar symbolische Verhaftungen vorzunehmen, damit die Leute beruhigt sind. Das werden wir auch tun. Aber für uns ist das kein einfacher Fall.«
    Das war’s.
    Zum ersten Mal war ich von der Polizei restlos enttäuscht. Natürlich mussten sie sich an die bestehenden Gesetze halten, aber ich wollte unbedingt, dass sie etwas unternahmen.
    Aber Viktor schaffte immer noch weiter Frauen ins Land und Slick verdiente weiter Geld. Ein paar Clubs änderten nach Erscheinen des Artikels zwar ihren Service. Und manche Leute mieden die Reisen zu den Malediven. Aber so richtig änderte sich nichts. Helena war nicht zufrieden mit mir. Und ich war auch nicht zufrieden mit mir. Ich war so wütend und frustriert, dass ich mein gesamtes Material einem Bekannten in der amerikanischen Botschaft übergab. Zumindest war es gutes Futter für das jährliche Weißbuch über Menschenhandel.
    Ich achtete darauf, dass der Artikel korrekt ins Englische übersetzt wurde, und bemerkte erfreut, dass er sich über das Internet rasch verbreitete. Angeblich hatte Viktor auch immer mehr Mühe, neue Frauen anzuwerben.
    Ich war richtig begeistert, als das amerikanische Außenministerium Japan im Juni auf die Liste der Länder setzte, die Menschenhandel nicht ernsthaft bekämpften. Japan rangierte nur knapp vor Nordkorea. Das hatte für die Japaner eine Signalwirkung. Nationale Demütigung ist ein Faktor, den man nicht unterschätzen darf, wenn es gilt, die japanische Regierung wachzurütteln.
    Ende des gleichen Monats wurde mir noch eine weitere Genugtuung zuteil: Die amerikanische Botschaft veranstaltete an der Universität der Vereinten Nationen ein Symposium über Menschenhandel und lud mich als Diskussionsteilnehmer dazu ein – nicht als Journalist, sondern als Teilnehmer. Ich fühlte mich sehr geehrt.
    Auf der Konferenz hielt der Vertreter der Nationalen Polizeibehörde eine Rede, in der er die erstaunlichen Fortschritte seines Landes bei der Bekämpfung des Menschenhandels pries. Ich konnte es mir natürlich nicht verkneifen, danach die Hand zu heben und eine Brandrede zu halten, in der ich von meinen Erfahrungen mit der Tokioter Polizei berichtete und dann anhand der

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