Tokio Vice
tun, die in den Clubs arbeiten – und dass sie die Polizei oder eine Nichtregierungsorganisation verständigen.
Wenn ich leise und völlig emotionslos sprach und einen Anzug und eine dicke Brille mit schwarzem Rand trug, konnte ich bei wenig Licht manchmal als Japaner durchgehen. So hatte ich mich in den Club hineingeschmuggelt, aber die Frau, die ich interviewte, brach zusammen und weinte so, dass meine Deckung rasch aufflog.
Der achtfingrige, schlecht tätowierte, pockennarbige, riesige Türsteher hatte wohl Verdacht geschöpft, denn er packte mich, zerrte mich nach draußen und schlug auf mich ein. Ich hatte nicht viel entgegenzusetzen und dachte, dass ich wohl bald tot sein würde. Aber so wollte ich die Welt dann doch nicht verlassen. Leider war ich immer noch ein lausiger Kampfsportler. Obwohl ich Karate und Aikido gemacht hatte, fehlte mir das nötige Talent, um richtig gut zu werden. Das größte Kompliment, das ich jemals von meinem Karatelehrer gehört hatte, lautete: »Du machst eigentlich alles falsch. Deine Haltung ist furchtbar, deine Art ist furchtbar, und deine Bewegungen sind lahm – aber trotzdem funktioniert es manchmal, weil du die Prinzipien dahinter kapiert hast. Das ist verblüffend.«
In dieser Situation hatte ich allerdings nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken, mit welchem raffinierten Griff ich meinen Hals von der Hand meines Gegners befreien könnte, um wieder atmen zu können. Aber während ich ans Atmen dachte, fiel mir ein, was mein alter Aikidolehrer – ein Polizist – mir einmal über die wirksamste aller Aikidobewegungen gesagt hatte. Sie ist effektiv, weil selbst der größte Mann der Welt ohne Sauerstoff nicht überleben kann.
Also versteifte ich meine Finger und stieß sie mehrere Male in die kleine Mulde unter dem Kehlkopf, so fest und schnell ich konnte. Das war ein fundamentaler atemi . Die Hiebe ins fleischige Gewebe fühlten sich gut an. Der Typ kippte um, und ich konnte wieder atmen.
Er rang nach Atem und fiel keuchend auf die Knie. Während er dort unten kauerte, wölbte ich meine Handflächen und schlug damit so fest wie möglich auf seine Ohren. Diese Bewegung heißt happa-ken , »reißende Faust«. Angeblich kann dabei das Trommelfell des Gegners platzen, was ihn aus dem Gleichgewicht bringt, Übelkeit erzeugt und starke Schmerzen hervorruft. Es schien zu funktionieren.
Er stöhnte und fiel nach hinten. Ich trat ihm ins Gesicht, dann rannte ich so schnell ich konnte davon. Ich lief bis zum Bahnhof Ikebukuro, wo ich in ein Taxi sprang und den Fahrer anwies, mich nach Roppongi zu bringen. Erst als ich im Taxi saß und tief Luft holte, spürte ich, wie sehr meine Rippen schmerzten.
Ich dachte keine Sekunde daran, die Polizei zu verständigen. Natürlich hätte ich angeben können, in Notwehr gehandelt zu haben, aber ich war mir nicht sicher, ob ich nicht zu weit gegangen war. Außerdem war ich Ausländer, was meistens bedeutete, dass ich als schuldig galt, solange ich nicht meine Unschuld nachweisen konnte. Es war also sehr wahrscheinlich, dass ich in den Knast wandern würde, und darauf war ich nicht besonders scharf. Früher hatte ich unter dem Schutz der mächtigen Yomiuri gestanden, aber jetzt war ich ein Niemand, ein Mann ohne Visitenkarte und ohne normalen Beruf. Ich war nur ein ehemaliger Journalist, der in Japan für eine ausländische Regierung ermittelte, ohne echte Rückendeckung. Das war sicherlich gefährlich, aber meiner Meinung nach lohnte sich mein Einsatz. Gut gegen Böse. Und ich war der Gute. Ich musste einfach vorsichtiger sein.
Am nächsten Tag rief ich einen Freund aus dem Drogendezernat an. Ich hatte beobachtet, dass einige Mädchen auf Drängen des Geschäftsleiters hinten im Lokal Kokain oder Meth geschnüffelt hatten. Ich wusste also, dass dort Drogen zu finden waren. Die Frau, mit der ich mich unterhalten hatte, hatte gesagt, dass sie am liebsten sofort nach Hause fahren wollte. Ich vermutete, dass ihr Wunsch auf diese Weise am schnellsten in Erfüllung gehen würde. Was hätte ich auch sonst tun sollen?
Eine Boha -Weste, die vor Stichverletzungen schützt, hatte meine Rippen gerettet. Wenn jemand Sie in Japan umbringen will, wird er Sie wahrscheinlich nicht erschießen, sondern erstechen. Denn bei Verwendung einer Schusswaffe fallen die Strafen für ein Verbrechen viel strenger aus. Das ermutigt die Täter natürlich dazu, ein Messer zu benutzen. In den letzten Jahren wurde die Strafe für Schusswaffengebrauch erheblich
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