Tokio Vice
Waffe er benutzt hat?«
»Wahrscheinlich eine Tokarew, eine russische Pistole. Heutzutage muss jeder Yakuza so eine haben.«
»Worum ging es bei dem Streit?«
Sekiguchi zündete sich eine Zigarette an. »Das werden Sie kaum glauben. Ich habe gehört, dass zwei Kerle von der Yamaguchi-gumi das Büro der Kokusui-kai im Tokioter Bezirk Taito besucht haben. Einer von ihnen hieß Nakai. Sein Freund hat einen Verkehrsunfall verursacht, an dem ein Typ von der Kokusui-kai beteiligt war. Darum gingen Nakai und sein Kumpel hin, um die Wogen zu glätten oder die Rechnung zu begleichen, was auch immer. Nakai ist anscheinend ein Großmaul und er hat wohl etwas gesagt, was die Kokusai-kai-Ganoven verärgert hat. Daraufhin hat einer von ihnen, ein heißblütiger Koreaner, seine Waffe gezogen, und schon liegen die Typen von der Yamaguchi-gumi auf dem Boden.«
»Also ein Bandenkrieg wegen eines Verkehrsunfalls?«
»Ja und nein. Da steckt natürlich mehr dahinter. Die Yamaguchi-gumi kontrolliert Kansai (Westjapan) und beherrscht etwa 40 Prozent des Marktes. Sie versuchen seit Jahren, sich nach Tokio auszubreiten. Die Kokusui-kai fühlt sich aber schon bedroht, wenn die Ganoven von der Yamaguchi-gumi ihr Revier auch nur betreten. Niemand will sie hier haben. In Saitama haben sie kein Büro, noch nicht. Darum glaube ich, dass die Sache nur Teil eines größeren Streits war, nach dem Motto ›Kommt uns bloß nicht in die Quere‹ oder so. Aber das spielt jetzt keine große Rolle mehr. Denn wenn die Kugeln fliegen, gibt es kein Zurück.«
Zur Zeit dieses Bandenkrieges war die Kokusui-kai die drittgrößte kriminelle Gruppe in Saitama, nach der Sumiyoshi-kai und der Inagawa-kai. Sie hatte 18 Büros und ungefähr 230 bekannte Mitglieder. Jetzt bewachten Polizisten jedes einzelne Büro.
Sekiguchi meinte, dass es nicht ungewöhnlich sei für Yakuza, ein Detektivbüro als Tarnung zu benutzen. Beliebter seien aber Immobilien- und Baufirmen. Die Leute von der Kokusui-kai hatten mit ihrem Detektivbüro gut verdient. Wenn sie einen Fall von Untreue übernahmen, zogen sie ihrem Klienten erst so viel Geld wie möglich aus der Tasche; wenn sie dann herausfanden, dass der Partner ihn hintergangen hatte – was meist der Fall war –, erpressten sie diesen mit der Drohung, ihrem Klienten die Wahrheit zu sagen. Es war ein einträgliches kleines Geschäft.
Am Morgen des 18. erhielt die Tokioter Polizei einen Anruf von
einem Mann, der behauptete, der Schütze gewesen zu sein.
»Die Schießerei in Konosu? Ich war der Kerl.«
Er wollte sich am Nachmittag mit seiner Waffe stellen, was er auch tat. Er hieß Takehiko Sugaya, damals 27 und Mitglied der Yamaguchi-gumi.
In Saitama wurde Sekiguchi damit betraut, Sugaya zu vernehmen. Sekiguchis Fähigkeiten als Vernehmungsbeamter waren sprichwörtlich. Yakuza waren dafür bekannt, sofort Geständnisse abzulegen, weil sie fürchteten, während des Verhörs belastende Aussagen zu anderen Straftaten zu machen. Sekiguchi war aber auch bei Wirtschaftskriminellen erfolgreich, obwohl er im Gegensatz zu den anderen Kripobeamten nicht an einer Eliteuniversität studiert hatte und keine noble Herkunft vorweisen konnte. Angeblich behandelte er Yakuza respektvoll wie wichtige Leute, während er Bürokraten und Wirtschaftskriminelle behandelte, als seien sie der Abschaum der Erde.
Ich wartete einen Tag, bevor ich ihn besuchte. Inzwischen war ein Fall, in dem es darum ging, dass Yakuza Belege gefälscht und Spielhallen-Besitzer um Millionen Dollar betrogen hatten, fast gelöst. Der Bandenkrieg war zu Ende, und da sich der Täter gestellt hatte, war das Ganze Schnee von gestern. Aber Sekiguchis Arbeit war noch nicht beendet.
Während Frau Sekiguchi noch spät am Abend Reis für uns briet, tauschten wir Neuigkeiten aus. Sugaya sei ein harter Brocken, meinte Sekiguchi. Er behauptete standhaft, dass er den Job allein geplant und niemand ihn dazu beauftragt habe. Doch Sekiguchi hatte gute Gründe, ihm das nicht zu glauben. Denn wer Rivalen aus dem Verkehr zog und sich dann stellte, wurde bei der Yamaguchi-gumi meist befördert, sobald er seine Strafe abgesessen hatte. Das war so eine Art Übergangsritus. Oft ging sogar der wahre Täter straffrei aus, und die Organisation opferte für ihn ein anderes Mitglied. Sekiguchi wollte daher herausfinden, ob Sugaya wirklich der Schütze gewesen war. Zum Glück verfügte er über Augenzeugen, da die Opfer noch am Leben waren.
Ich nahm einen langen Zug von meiner Zigarette und
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