Tokio Vice
besucht hatte oder kannte.
Shibata war ein wichtiger Mann in seiner Yakuza-Gruppe gewesen, doch jetzt war er kein Mitglied mehr. Als man bei ihm Leberkrebs festgestellt hatte, war ihm plötzlich bewusst geworden, was für ein böses Leben er geführt hatte. Dass so viele Yakuza an Leberkrebs erkranken, hat mit ihren Tätowierungen zu tun. Denn die meisten lassen sich als Jugendliche tätowieren, und die Nadeln sind oft nicht sauber. Viele leiden an Hepatitis C, außerdem trinken sie eine Menge. Und diese Kombination ist wohl ziemlich schädlich. Zudem legen die Tattoos die Schweißdrüsen fast lahm, sodass der Körper Gifte nicht mehr so leicht loswerden kann, was die Organe belastet.
Shibata wusste, dass er keine neue Leber bekommen würde, und beschloss, mit der Welt Frieden zu schließen und tätige Reue zu üben, wo es möglich war. Er heiratete eine Malaysierin, die in einem seiner Clubs arbeitete, und hatte ein Kind mit ihr.
Zum Glück wollte Shibata mit jemandem reden, um für seine Sünden Buße zu tun. Ein buddhistischer Priester brachte uns zusammen – das nennt man tsumihoroboshi . Natürlich wurde vorher festgelegt, was er mir erzählen würde und was ich damit anfangen sollte. Er wusste, dass die Zeitungen nach seinem Tod schlimme Nachrufe
schreiben würden. Und ich musste ihm versprechen, seinem Sohn zu erklären, dass sein Vater auch eine andere Seite gehabt hatte, dass er versucht hatte, ein besserer Mensch zu werden. Und ich sollte dem Jungen einen verschlossenen Brief übergeben.
Shibata sah ziemlich schlecht aus. Patienten mit fortgeschrittenem Leberkrebs sind leichenblass, gelblich. Ganz so weit war er noch nicht.
Wenn die Leberfunktion immer weiter nachlässt, bleiben immer mehr Gifte im Körper, die eigentlich herausgefiltert werden sollten. Der Kranke vergiftet sich so selbst. Manche Menschen werden dabei gewalttätig oder fallen ins Delirium.
Bevor ein Reporter mit einer Befragung beginnt, sollte er höflicherweise ein wenig Konversation machen. Daher erwähnte ich, dass ich auf dem Weg in die Klinik am »Hotel Yaesu Fujiya« vorbeigekommen sei und an die Ermordung von Eiju Kim im Jahr 2002 gedacht hatte.
Ich konnte mich noch lebhaft an die Szene vor dem Hotel erinnern. Irgendwie war es mir gelungen, hinter das gelbe Absperrband der Polizei bis zu der Leiche zu gelangen. Das Blut war so reichlich geflossen, dass es auf der Straße einen Teppich bildete.
Trotz des vielen Blutes auf den Kleidern sah ich sofort, dass das Opfer gut angezogen war. Ich bin zwar nicht modebewusst, aber ich erkenne einen guten Anzug, wenn ich einen sehe. Das hübsche Hemd mit Fischgratmuster war dunkelgrau und eindeutig maßgeschneidert.
Ich knipste ein paar Bilder, bevor ein aufgeregter Polizist mich am Arm packte und hinter das gelbe Band zog. Dabei bemerkte ich, dass meine Schuhe eine Blutspur hinterließen. Vermutlich hätte man mir vorwerfen können, einen Tatort verändert zu haben, aber der Täter war bereits festgenommen worden, daher hatte ich kein sonderlich schlechtes Gewissen.
Shibata fragte: »Waren Sie dort?«
»Ja, ich habe die Leiche gesehen.«
Eiju Kim, genaues Alter unbekannt, wahrscheinlich Ende 40, Japaner koreanischer Herkunft und Chef der Yakuza-Gruppe Kyoyou-kai in Osaka, die Teil der Yamaguchi-gumi war, hatte vor dem »Hotel
Fujiya« ein hitziges Gespräch mit Naoto Kametani geführt, dem Chef der Rokkorengo-Bande, die ebenfalls zur Yamaguchi-gumi gehörte. Beide waren eng befreundet.
Kim, der von Kenichi Takanuki, 30, begleitet wurde, seinem Untergebenen und Fahrer, brach dann das Gespräch ab und stieg in ein großes schwarzes Autos ein, das neben ihnen parkte. Takanuki setzte sich ans Lenkrad. Kametani blieb neben dem Wagen zurück.
Als das Auto auf die Straße einbog, zog Kametani eine Pistole und durchlöcherte den Wagen. Kim war sofort tot. Der Fahrer konnte aus dem Wagen springen, wurde dann aber ebenfalls erschossen. Kametani floh zu Fuß, kam aber nicht weit, dann ergriffen ihn die Polizisten, die zufällig anwesend waren, und nahmen ihn fest. Auf den ersten Blick handelte es sich eindeutig um Mord. Aber Gewalt zwischen Yakuza-Gruppen war äußerst ungewöhnlich und selten.
»Wollen Sie die wahre Geschichte dahinter hören?«
»Ja, sehr gerne.«
»Okay.« Doch statt zu reden, schien Shibata in Gedanken zu versinken. Ich musste ihn daran erinnern, dass ich gerne die wahre
Geschichte hören wollte. Er nickte. Dann begann er zu sprechen.
Es war eine unglaubliche
Weitere Kostenlose Bücher