Tokio Vice
Geschichte. Sie handelte von Schmiergeldern, die man im Büro des Staatsanwaltes in Osaka gefunden hatte, von Drohungen gegen die Presse und einem gewaltigen Vertuschungsmanöver. Trotzdem blieb einiges unklar, es wirkte ein bisschen wie eine dieser Verschwörungstheorien, von denen es in Japan viele gibt. Ich könnte Einzelheiten nennen, aber ich möchte meine natürliche Lebensspanne möglichst ausschöpfen. Aber natürlich wollte ich mehr wissen.
»Wo ist der Beweis dafür?«, fragte ich.
»Ich bin der verdammte Beweis. Es ist wahr, weil ich sage, dass es wahr ist«, erwiderte Shibata nachdrücklich. Trotz seines bleichen, eingesunkenen Gesichts spürte ich eine Sekunde lang die enorme Kraft, die ihn früher zu einem Vollstrecker gemacht hatte, der Menschen nur mit seinem Blick einschüchtern konnte.
»Aber das Ganze leuchtet mir immer noch nicht ganz ein.«
»Sie sind der Reporter. Finden Sie’s heraus.«
»Exreporter.«
»Ja klar. Egal. Das ist alles Vergangenheit, das kümmert niemanden mehr. Aber ist es Ihnen nie komisch vorgekommen? Haben Sie sich nie gefragt, warum Kametani kein Wort über sein Motiv verloren hat? Warum er 20 Jahre bekommen hat und nicht lebenslänglich?«
»Na ja, ich nehme an, dass er für einen Mord an einem normalen Bürger lebenslänglich bekommen hätte.«
»Sie Hundesohn. Wenn ein Yakuza einen Yakuza umlegt, dann kräht wohl kein Hahn danach.«
Darüber musste ich kurz nachdenken. »Wissen Sie, das Gleiche habe ich einmal zu einem Polizisten in Saitama gesagt, und wir schlossen eine Wette ab. Die Folge war, dass ich seine ganze Familie zu einem koreanischen Grillabend einladen musste. Sie bestellten wagyu !19 Wollen Sie die Geschichte hören?«
Er nickte.
Sie ereignete sich vor einigen Jahren, als Sekiguchi noch gesund war. Am 16. November 1994 war die Feindseligkeit zwischen der Kokusui-kai und der Yamaguchi-gumi übergekocht. Die Kokusui-kai schlug zuerst zu. Zwei Mitglieder der Yamaguchi-gumi, die ihr Büro in
Tokio besucht hatten, wurden niedergeschossen und schwer verwundet. Am nächsten Tag rächte sich die Yamaguchi-gumi dafür. Der Bandenkrieg weitete sich über zwei Präfekturen aus – Saga und Yamanashi –, dann erreichte er Shinjuku in Tokio und schließlich Saitama.
Ich hatte erwartet, dass an diesem Tag etwas geschehen würde, und wurde nicht enttäuscht. Ich hing gerade im Presseclub der Polizei herum, wo ein älterer Kollege mich in die Feinheiten des mahjong einweihte, als plötzlich ein Pressesprecher angerannt kam und etwas über eine Schießerei zwischen zwei Personen erzählte. Ich fuhr per Anhalter zum Tatort.
Er befand sich in einem sechsstöckigen Gebäude im Herzen von Konosu. An der Bürotür der Kokusui-kai hing ein Schild mit der Aufschrift »Private Ermittlungen im Osten und im Europa«. Es war eines der drei Privatdetektivbüros in der Gegend, die der Kokusui-kai als Tarnfirmen dienten. Sie annoncierten sogar in den Gelben Seiten.
Schläger, die nach Yakuza aussahen, gingen aus und ein, schrien in ihre Handys und ignorierten die Polizisten, die überall herumschwärmten und den ganzen ersten Stock mit gelbem Band absperrten. Auf dem Gehweg war Blut zu sehen, aber keine Leiche.
Ich knipste so viele Fotos, wie ich nur konnte. Ein Yakuza, der eine übergroße Sonnenbrille und einen weißen Velourstrainingsanzug trug, starrte mich an, während er telefonierte, dann wedelte er heftig mit der Hand, als wolle er sagen: »Wage es ja nicht, mich zu fotografieren!« Ich tat es trotzdem.
Das gefiel ihm nicht. Er stampfte auf mich zu und schrie dabei Obszönitäten, die ich nicht verstand, weil er das r rollte und nach Art der Yakuza knurrte. Wahrscheinlich hatte er das aus schlechten Yakuza-Filmen abgeschaut. Die italienischen Mafiosi orientieren sich an Hollywoodfilmen, und die japanischen Yakuza machen es ähnlich. Der Yakuza gehören sogar die meisten Studios, in denen diese Filme entstehen. Oft sind sogar die Statisten in den Yakuza-Streifen tatsächlich Yakuza. Die furchterregenden Typen, die gerade vor mir standen, waren jedoch mit Sicherheit keine Schauspieler.
Ich zeigte auf mein Yomiuri -Armband. »Ich bin Reporter. Ich darf fotografieren.«
Der Kerl ließ sich von meinem schlagenden Argument leider nicht beirren und griff nach meiner Kamera.
Ich zog sie zurück, drohte ihm mit dem Finger und machte »ts-ts«. So dreist war ich allerdings nur, weil Sekiguchi gerade auf dem Schauplatz erschienen war. Er trug schwarze Jeans, einen
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