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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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behaartes Gesicht habe, dann solltet ihr mal die Haare auf meiner Zunge sehen!«.
    Um zwei Uhr radelte ich schließlich nach Hause. Die Wohnung war leer. Ein Zettel von I-chan lag auf dem Futon: »Es ist aus.« Ihre Sachen waren weg. Sie hatte den Futon geputzt, das Geschirr gespült und sogar die Badewanne gesäubert und den Müll rausgebracht. Es war die ordentlichste Trennung, die ich je erlebt habe. Ich legte mich im Anzug auf den Futon und überlegte, ob ich sie anrufen sollte, doch darüber schlief ich ein. Und das war’s dann.
    Yamamoto war der Meinung, dass ich anfangen sollte, abends Yokozawa zu besuchen. Denn der Polizist schien mich zu mögen, und Yamamoto hoffte, er werde erneut irgendetwas ausplaudern, was uns in diesem Fall Vorteile gegenüber der Konkurrenz verschaffen könnte.
    Als ich an die Tür von Yokozawas Wohnung klopfte, öffnete seine Frau. Obwohl es noch früh am Abend war, war er zu Hause und saß im Bademantel auf dem Sofa. Er sagte, dass die meisten Reporter erst nach zehn an seine Tür klopften und bat mich, niemandem zu erzählen, dass er früher nach Hause gekommen sei. Ich lachte und versprach es.
    Dann plauderten wir über das Wetter und mein Leben in Japan und kamen schließlich endlich auf den Fall Chichibu zu sprechen. Er deutete an, dass man eine Waffe gefunden habe, ließ sich aber nicht darauf festnageln. Ich machte mir im Kopf Notizen, denn für einen Reporter ist es tabu, abends bei einem Polizisten etwas aufzuschreiben. Das hätte die Illusion zerstört, dass sich zwei Profis zwanglos miteinander unterhalten und nicht etwa deshalb, um Informationen zu ergattern. Die Regeln sind genau festgelegt. Wenn man beim Trinken etwas von einem Polizisten erfährt, darf man sich nie auf ihn berufen. Hat man dann genug Material, um einen Artikel zu schreiben, spricht man von »Personen im Umkreis der Ermittler« oder allgemein von »der Polizei von Saitama« als Quelle.
    Das gemeinsame Trinken ist auch für die Polizei wichtig, weil es eine gute Ausrede ist. Denn der Beamte kann dann beteuern: »Nein, ich habe diesem Reporter nichts gesagt. Gut, wir waren betrunken, vielleicht ist mir da etwas herausgerutscht. Aber ich kann mich nicht daran erinnern.«
    Nachdem Yokozawa und ich etwa eine halbe Stunde über den Fall gesprochen hatten, ging ich zur nächsten Telefonzelle und rief Yamamoto an. Ich versuchte, das Gespräch Wort für Wort zu wiederholen. Er meinte, ich hätte großartige Arbeit geleistet und er würde die Informationen weitergeben. Ich hatte keine Ahnung, ob er von mir tatsächlich etwas Wichtiges erfahren hatte, aber wahrscheinlich konnte Yamamoto zwischen den Zeilen lesen und sah das große Ganze. Jedenfalls war es mir peinlich, ihn zu fragen, was denn genau hilfreich gewesen war.
    Am nächsten Morgen im Presseclub kamen Yamamoto und Ono zeitig vorbei und begannen einen Artikel für die Abendausgabe zu verfassen. Wir hatten exklusive Informationen, und die Schlagzeile dazu lautete. »Mordfall Imbissbuden-Mama: Polizei sucht iranischen Freund der ältesten6 Tochter.«
    Der Artikel besagte, dass die Polizei demnächst einen Iraner festnehmen werde, der bereits wegen des Verstoßes gegen die Einwanderungsbestimmungen gesucht werde. Anhand eines blutbefleckten Sweatshirts, einer Hose, in der sich ein Schlüssel zum Apartment befand, und eines blutbefleckten Metallgegenstandes, der in der Nähe des Tatorts gefunden worden sei, habe die Spurensicherung die Identität des Verdächtigen ermittelt. Der Haftbefehl sei beantragt und es werde damit gerechnet, dass er noch an diesem Tag vollstreckt werden könne.
    Es war ein echter Knüller – keine Story im Sinne von Enthüllungsjournalismus, sondern die »Wir haben es geschrieben, bevor die
Polizei es bekannt gab«-Variante. Die Polizei nahm den Iraner dann in der Tat noch am gleichen Tag fest, und die Asahi , unsere stärkste Konkurrentin in der Zeitungswelt, musste nachträglich darüber berichten.
    An diesem Abend sprach ich noch mit Yokozawa, der mich zu der Story beglückwünschte. Ich blieb bescheiden, wie es sich gehörte, zumal mir immer noch nicht bewusst war, was ich eigentlich dazu beigetragen hatte. Laut dem Chef der Spurensicherung hatte der Iraner die Imbissbuden-Mama umgebracht, weil sie nicht wollte, dass er ihre Tochter heiratete. Der Mann legte allerdings kein Geständnis ab und behauptete: »Das ist eine Polizeifalle – man hat mich reingelegt.«
    Für mich war der Fall abgeschlossen. Erst ein knappes Jahr

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