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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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später dachte ich wieder an ihn.
    Ich aß gerade yakisoba im Bahnhof Omiya, als Takahashi, unser Neuling, mich anrief. Er klang so hysterisch, wie ich als Jungreporter auch geklungen hatte, wenn ich von den Neuigkeiten überwältigt war und drei Leute mir gleichzeitig unterschiedliche Befehle zubrüllten. Nach einer Weile brachte ich ihn dazu, mir die Presseerklärung vorzulesen.
    In der ersten stand im Wesentlichen Folgendes: Im Maruyama-Park in Ageo war die Leiche einer jungen Japanerin gefunden worden, die mit einem Damenschal stranguliert worden war. Die Farbe des Schals wurde nicht erwähnt.
    Ich hörte Yamamoto im Hintergrund meinen Namen schreien. Er wollte wohl, dass ich zum Tatort kam, also machte ich mich auf zum Maruyama-Park.
    In Städten wie Tokio und Saitama sind die Parks meist riesige Parkplätze mit ein paar Schaukeln, Wippen und einer spärlichen Vegetation, die ums Überleben kämpft. Doch der Maruyama-Park ist ein echter Park mit großen Grasflächen und Baumgruppen. Das Opfer war im Gebüsch hinter einem kleinen Pavillon in der Mitte des Parks gefunden worden.
    Die Polizei hatte zunächst versucht, den ganzen Park abzusperren, war dann aber am Protest einiger zorniger Mütter gescheitert, die für ihre Kinder keinen anderen Spielplatz hatten. Deshalb war die gesperrte Zone ein eher kleiner Bereich rund um den Tatort. Als ich ankam, standen neugierige Hausfrauen, Parkarbeiter, Büroangestellte, Schüler, die nichts Besseres zu tun hatten, und ältere Leute, die einen Spaziergang machten, am gelben Absperrband. Natürlich schwärmten bereits Reporter im Park herum und hielten nach etwas Ausschau, das sie für einen Artikel verwerten konnten.
    Da ich keine Chance sah, mich dem Tatort weiter zu nähern, beschloss ich, mich meinen Kollegen anzuschließen und die Parkbesucher zu befragen. Hatten sie vielleicht irgendetwas Verdächtiges gesehen? Lungerten oft irgendwelche Gangs im Park herum? War der Park bei jungen Leuten für romantische Treffen beliebt? Galt der Park als ungefährlich?
    Ein zahnloser älterer Mann in einem gelben Hemd, Jeans und Sandalen beklagte sich langatmig über die Iraner, die seit einiger Zeit im Park herumhingen. Er vermutete, dass sie arbeitslos waren und die Zeit irgendwie totschlagen mussten oder sich über die Möglichkeiten unterhielten, an einen Job zu kommen. Als am Nachmittag das erste Polizeiauto eingetroffen war, habe er gesehen, wie die Iraner sich verdrückt hätten. Das war noch die beste Information, die ich nach einer Stunde bekommen hatte.
    Als Nächstes rief ich Nakajima an und berichtete ihm, was ich erfahren hatte.
    »Mist! Versuch jemanden zu finden, der etwas gesehen hat. Yamamoto geht zur Pressekonferenz. Wir halten dich auf dem Laufenden.«
    Also lief ich weiter im Park herum und sprach mit einigen Leuten, kam aber nicht wirklich weiter. Die Polizisten taten das Gleiche
wie ich, aber die Männer von der Spurensicherung in ihren blauen Uniformen waren diesmal nicht zu sehen. Die Polizei war wohl so sehr davon überzeugt, dass der Schal die Mordwaffe war, dass sie es nicht die Mühe wert fand, den Park nach anderen Hinweisen zu durchsuchen.
    Bei meinem nächsten Anruf im Büro meinte Yamamoto, dass ich ihn zur Pressekonferenz aufs Polizeirevier begleiten solle. Ich sollte mir Notizen machen und sie an die Kollegen weitergeben, die dann für die nächste Ausgabe einen Artikel zusammenstellen würden. Allmählich trauten sie mir offenbar zu, dass ich Japanisch verstand – oder sie litten gerade unter Personalmangel. Denn mein Japanisch war etwa so gut wie das eines Kindes in der Mittelschule.
    Saeki, der Chef der Mordkommission von Saitama, leitete die Pressekonferenz. Er hatte unreine Haut, trug eine Brille mit dicken Gläsern, und obwohl er rund zehn Kilo Übergewicht hatte, gelang es ihm dennoch, viel zu große Anzüge zu kaufen. Da er allmählich kahl wurde, ließ er sein Haar an den Seiten lang wachsen und kämmte es über die blanke Stelle auf dem Schädeldach. Diese Frisur heißt in Japan »Strichcode«. Saeki galt als hervorragender Polizist. Aus irgendwelchen mir unerfindlichen Gründen war ich ihm allerdings ein Dorn im Auge. Deshalb war ich froh, dass Yamamoto die Fragen stellte.
    Die Konferenz begann mit der Biografie des 23-jährigen Opfers. Dann folgte eine Flut von überaus präzisen, aber nicht unbedingt wichtigen Fragen, die Reporter nun einmal stellen müssen. Wo lag die Leiche? In welche Richtung zeigten ihre Füße? Lag sie auf dem

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