Tokio Vice
Uhr im Pyjama im Bett gefunden. Die Mitarbeiterin hatte sie gesucht, da sie nicht in der Bar aufgetaucht war, dann hatte sie den Notarzt gerufen. Dem ersten Anschein nach hatte ihr jemand mit einem stumpfen Gegenstand auf die rechte Kopfseite geschlagen.
Das Opfer wohnte in einem schäbigen Gebäude – gleichförmige beige Häuser standen Reihe an Reihe, typisch für den sozialen Wohnungsbau in Japan. Alle hatten Balkone mit Metallgeländer und Wäscheleinen, auf denen immer etwas hing, bei Regen und Sonne, Tag und Nacht. Das Gebäude war schlecht beleuchtet, und das Einzige, was wir drinnen hörten, war das undefinierbare Getöse der Fernseher, das durch die dünnen Wände der Apartments drang.
Die Polizei hatte das ganze Gebäude bereits abgesperrt. Ich spielte den dummen gaijin und kroch unter dem gelben Band mit dem Schild »Betreten verboten« durch. So konnte ich immerhin mit zwei Personen reden, bevor ein Beamter zu mir kam und mich auf Englisch ermahnte: »Gehen weg. Hier kann nicht sein.«
Danach versuchte ich, mit ein paar Leuten ins Gespräch zu kommen, die an der Polizeibarriere herumlungerten und das Gebäude anstarrten. Schließlich ging ich zum benachbarten beigefarbenen Haus, klingelte an Türen und erkundigte mich nach der Mama-san, bis ich einen Vorarbeiter aus einer Betonfabrik fand, der die Imbissbude regelmäßig besucht hatte. Er besaß sogar ein Bild von ihr – die Imbissbuden-Mama war erstaunlich mollig – und war bereit, es mir leihweise zu überlassen.
»Haben Sie eine Ahnung, wer sie umgebracht haben könnte?«, fragte ich.
»Hmmm, ich weiß nicht. Vielleicht ein Kunde, der Schulden bei ihr hatte. Sie konnte richtig gemein werden, wenn man seine Rechnung nicht fristgemäß bezahlte. Ich kenne Kredithaie, die mehr Mitgefühl haben.«
Das konnte ich wohl schlecht über die Verstorbene schreiben. »Was ist mit ihrem Mann?«, wollte ich wissen.
»Keiner da. Sie wohnte bei ihrer Tochter. Die Leute sagen, die beiden seien nicht gut miteinander ausgekommen. Es ging immer um den Freund der Tochter.«
»War er ein Yakuza oder nur irgendein Ganove?«
»Schlimmer. Er war Ausländer.«
»Was für ein Ausländer?«
»Weiß ich nicht. Ich kann sie nicht voneinander unterscheiden«, meinte er verlegen. »Aber er sah ungefähr so aus wie Sie.«
Wunderbar, dachte ich. Dann haben wir ja einen Verdächtigen. Als Nächstes rief ich Yamamoto an und informierte ihn.
Er gratulierte mir zu meinen Erkentnissen und berichtete dann, was er bei der kurzen Pressekonferenz erfahren hatte. Die Polizei von Chichibu sprach von Mord und hatte eine Untersuchungskommission gebildet, die inoffiziell »Mordfall Chichibu, Imbissbuden-Mama« hieß.
Die Frau hatte ihre Imbissbude seit fast 15 Jahren, sie war meist um fünf Uhr nachmittags zur Arbeit gegangen. Da sie an diesem Tag aber nicht gekommen war, hatte eine der Hostessen an die Tür ihrer Wohnung geklopft, aber keine Antwort erhalten. Die Tür war verschlossen gewesen. Auf Bitten der besorgten Hostess hatte der Haumeister die Tür mit seinem Schlüssel geöffnet. Das Apartment war aufgeräumt, und es gab keine Hinweise auf einen Kampf oder Einbruch. Aber die Imbiss-Mama war tot. Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf ihrem Futon, und Blut war auf die Matratze getropft. Ansonsten war alles in Ordnung, auch schien nichts gestohlen worden zu sein.
Eine erste Untersuchung deutete darauf hin, dass sie zwischen Mitternacht und den frühen Morgenstunden gestorben war. Die Wunde ließ darauf schließen, dass jemand sie mit einem stabförmigen Gegenstand, vielleicht mit einem Baseballschläger, so geschlagen hatte, dass sie sofort tot war. Ein Schlag auf den Schädel hatte genügt, und sie war verblutet.
Eine Angestellte hatte sie nach der Arbeit um ein Uhr nach Hause gebracht. Sie war die Letzte, die das Opfer lebend gesehen hatte. Eine Freundin von der Highschool hatte um zehn Uhr angerufen, aber niemand hatte den Hörer abgenommen. Das passte zum geschätzten Todeszeitpunkt. Die 28-jährige Tochter war dabei beobachtet worden, wie sie gegen halb drei mit einem Mann das Haus verlassen hatte.
Yamamoto fragte mich: »Sind die Leute von der Spurensicherung am Tatort?«
»Woher soll ich das denn wissen?«
»Na, sie tragen blaue Uniformen, auf denen Spurensicherung steht. Wahrscheinlich suchen sie jetzt die Waffe. Wenn du ein Bild von ihnen mit der Waffe kriegst, drucken wir es. Ich schicke dir Frenchie zur Unterstützung. Chappy wird das Bild des Opfers
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