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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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abholen.«
    Als Chappy erschien, dämmerte es fast schon. Er brachte mir einige kairo , kleine Heizkissen, die an der Luft sofort warm werden, wenn man darauf klopft. Ich stopfte sie in sämtliche Taschen, wartete, schaute mich um und hoffte, etwas Lohnendes zu erspähen.
    Das Gebäude war immer noch abgesperrt, aber ich sah, dass die Beamten der Spurensicherung das Gebüsch am anderen Ende des Grundstücks durchsuchten, dort, wo es an ein Feld grenzte. Andere Reporter standen auf dem Parkplatz herum und befragten offenbar Leute, die auf dem Weg zur Arbeit waren.
    Ich überlegte gerade, wie ich vorgehen sollte, als mir im Gestrüpp etwas auffiel, was wie ein Abflusskanal in der Böschung neben dem Gebäude aussah. Ich vermutete, dass der Kanal auf das Feld und unter dem gelben Band hindurch führte. Also beschloss ich nachzusehen.
    Ich kroch in den Kanal und tauchte voller Schmutz genau unterhalb der Böschung wieder auf. Nun hatte ich eine gute Sicht auf die Beamten, die das Gebüsch durchsuchten. Ich holte meine riesige Kamera mit Teleobjektiv hervor und begann zu knipsen. Auf einmal spürte ich, wie sich eine große Gestalt über mich beugte.
    »Sie müssen Mr. Adelstein sein«, sagte eine Stimme.
    Nervös blickte ich auf. Es war Kanji Yokozawa, der Chef der Spurensicherung, ein altgedienter Ermittler in Mordfällen, der großes Ansehen genoss. Er trug eine Baseballmütze, eine randlose Brille mit quadratischen Gläsern und die dunkelblaue Kleidung des Spurensicherungsteams. Seine weißen Latexhandschuhe hatte er bis zu den Handgelenken hinuntergerollt.
    Ich konnte nicht erkennen, ob er ärgerlich war, schließlich befand ich mich hinter der Polizeiabsperrung. »Ja, der bin ich«, antwortete ich freundlich.
    »Mr. Adelstein, ich frage mich, wie Sie an diesem gelben Band dort drüben vorbeigekommen sind.«
    »Nun ja, ich bin durch den Abwasserkanal gekrochen.«
    »Aha. Und haben Sie schon hübsche Fotos gemacht?«
    »Es geht so, aber ich warte eigentlich darauf, dass Sie die Mordwaffe finden.«
    »Wenn wir sie finden, sage ich es Ihnen, dann posiere ich sogar für ein Foto. Aber ich fürchte, es wird nicht einfach werden. Übrigens, wenn Sie beim Durchstreifen der Felder etwas finden, was die Mordwaffe sein könnte – eine Keule, eine Metallstange oder ein anderer stumpfer Gegenstand –, dann fassen Sie sie bitte nicht an. Lassen Sie sie liegen und rufen Sie uns.«
    Yokozawa war wirklich durch und durch ein Gentleman, sogar mir gegenüber. Die meisten Mitglieder der Mordkommission sind ziemlich barsch und mögen keine Reporter, aber Yokozawa war die Ausnahme. Deshalb beschloss ich zu testen, wie weit ich gehen durfte. »Wenn Sie schon mal hier sind«, begann ich, »dürfte ich Ihnen dann ein paar Fragen stellen?«
    »Sie dürfen. Vielleicht kann ich nicht alle beantworten, aber ich sage Ihnen, was ich weiß.«
    »Danke, Yokozawa-san«, sagte ich. »Also, der Gerichtsmediziner gab an, dass die Frau mit einem einzigen Schlag auf den Kopf getötet worden ist. War das ein Zufallstreffer?«
    »Gute Frage. Ich vermute, dass der Mörder genau wusste, was er tat. Die meisten Verbrecher wissen es nicht und schlagen mehrere Male zu, selbst wenn sie das Opfer schon mit dem ersten Schlag getötet haben. Sie sind dabei so aufgeregt, dass sie oft noch die Schultern oder die Wirbelsäule zertrümmern. Hier war das nicht so. Das war in gewisser Hinsicht professionell.«
    »Ein Auftragsmörder?«
    »Nein, das wohl nicht. Aber wer auch immer sie umgebracht hat, er war sehr effizient. Er oder sie wusste, wie man tötet.«
    »Sie denken also an den Freund der Tochter?«
    »Darauf kann ich nicht antworten. Aber überlegen Sie mal: Der Freund der Tochter ist Iraner. Viele Iraner in Japan sind ehemalige Soldaten, und viele haben im irakisch-iranischen Krieg gekämpft. Sie wissen also, wie man tötet – mit Messern, Gewehren, Händen, stumpfen Gegenständen. Viele Polizeibeamte – aber das sage ich Ihnen nur ganz im Vertrauen – fürchten die Iraner mehr als die Yakuza.«
    »Wer hat Ihrer Meinung nach die Tür abgeschlossen?«
    »Nun, das muss jemand mit einem Schlüssel gewesen sein. Möglicherweise ist jemand ins Apartment eingedrungen, hat die Imbissbuden-Mama getötet, ihren Schlüssel gestohlen und dann die Tür abgeschlossen, um die Entdeckung der Leiche zu verzögern. Kann sein, ist aber eher unwahrscheinlich. Die Frau hat die Tür wohl kaum unverriegelt gelassen oder jemanden im Pyjama empfangen. Derjenige, der die Tür nach

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