Tokio Vice
Polizeiinformanten erfahren, dass ein Hundezüchter namens Gen Sekine in der Nähe von Kumagaya im Verdacht stand, ein Serienmörder zu sein. Sekine war wohl ein Yakuza, ein ehemaliger Yakuza oder ein Verbündeter der Yakuza. In den vergangenen zehn Jahren waren auf jeden Fall mehrere Leute, die mit ihm zu tun hatten, verschwunden. Die Polizei hatte Untersuchungen eingeleitet, als die ersten drei Personen vermisst wurden. Als dabei aber nichts herauskam, weil alle Spuren im Sand verliefen, waren die Fälle in Vergessenheit geraten.
Das änderte sich erst, als Akio Kawasaki, der Präsident einer Abfallbeseitigungsfirma, nicht mehr nach Hause kam. Nach mehreren Tagen ging seine Frau zur Polizei, die jedoch wenig Interesse zeigte und nur sehr oberflächliche Fragen stellte: Hat Ihr Mann sich in letzter Zeit ungewöhnlich benommen? Gab es zu Hause Probleme? War er jemals einige Tage fort, ohne Ihnen Bescheid zu sagen? Hat er Feinde?
Frau Kawasaki verneinte all diese Fragen. Aber im Laufe der Befragung erwähnte sie, dass ihr Mann Streit mit einem Hundezüchter hatte. Plötzlich wurde der zuständige Polizist aufmerksam und meinte ernst: »Wenn Ihr Mann mit Sekine zu tun hatte, dann müssen Sie sich auf das Schlimmste gefasst machen.«
Frau Kawasaki ging daraufhin erschrocken nach Hause, und die Polizei holte angestaubte Akten aus dem Keller.
Zwei Monate später wurde Kawasaki immer noch vermisst, und das Morddezernat der Polizei von Saitama stellte eine Sonderkommission zusammen, die sein Verschwinden untersuchen sollte. Als Nakajimas Informant von diesem Fall sprach, arbeiteten gerade zehn Beamte daran. Der Polizist versicherte Nakajima, dass kein Grund bestehe, die Story gleich zu drucken. Wenn die Yomiuri geduldig wartete, werde sie die entsprechenden Informationen exklusiv erhalten. Da selbst die Polizeiführung von Saitama die Details des Falles noch nicht kannte, war die Gefahr gering, dass andere Zeitungen Wind von der Sache bekamen.
Das alles klang ziemlich heftig: Hundezüchter, Yakuza, vermisste Personen – wie aus einem schlechten japanischen Fernsehfilm. Wir wussten, warum die Ermittlungen sich nicht auf die vermissten Personen, Mordverdacht oder irgendeine große Sache konzentrierten, sondern auf ein eher kleines Vergehen wie Betrug. Denn ein Haftbefehl wegen Betruges war viel leichter zu erhalten als einer wegen Mordes. Und war ein Verdächtiger erst einmal in Gewahrsam, so konnte er auch zu anderen Straftaten befragt werden, einschließlich Mord. So ging das Morddezernat routinemäßig vor.
Ich hatte den Auftrag, das Zeitungsarchiv nach Informationen über den Hundezüchter und seine Tierhandlung mit dem eigenartigen Namen »Afrikanischer zwinger« zu durchforsten. Da die Yomiuri damals noch keine elektronische Datenbank besaß, musste ich ganz altmodisch Artikelsammlungen durchblättern. Nach zwei Tagen brannten mir die Augen, aber ich hatte immerhin einen Artikel vom 14. Juli 1992 gefunden, dessen Schlagzeile lautete: »Auf Wiedersehen, Raubtier: Süßes Löwenbaby kommt in den Zoo der Präfektur Gunma. Tierzüchter in Kumagaya hielt den Kleinen auf seinem Balkon.«
Sekine hatte anscheinend ein Löwenbaby auf dem Balkon seines Hauses aufgezogen, und ängstliche Nachbarn hatten daraufhin die Behörden verständigt. Damit verstieß er gegen mehrere Stadtverordnungen, deshalb kam das Löwenbaby in einen zoo und Sekine musste ein kleines Bußgeld zahlen.
Die Entdeckung dieses Artikels war insofern ein Durchbruch, als er uns unter anderem das chinesische Schriftzeichen für Sekines Namen lieferte. Im Japanischen hilft die gesprochene Form eines Namens nicht unbedingt weiter. Ich musste einmal eine japanische Frau suchen, deren Namen wir an der Universität New York bekommen hatten. Wir kannten die romanisierte Schreibweise ihres Namens und ihr Alter, aber es gab mehrere Kanji -Varianten ihres Familiennamens und mindestens 20 Versionen für ihren Vornamen. Für den Fall, dass ein unwissender Amerikaner ihren romanisierten Namen falsch geschrieben hatte oder ihr Name eine ungewöhnliche Schreibweise aufwies, wäre eine Datenbank natürlich sehr nützlich gewesen. Das Kanji -Schriftzeichen war auf jeden Fall wichtig, um eine Person genau zu identifizieren. Jetzt konnten wir also Sekine anhand der Schriftzeichen in den verfügbaren Datenbanken suchen.
Wie sich herausstellte, war Sekine ziemlich berühmt. Er war einer der erfolgreichsten Hundezüchter im Land. Zeitschriften hatten über ihn berichtet,
Weitere Kostenlose Bücher