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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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Büros haben sie? Wie viele Mitglieder? Wer ist in der Organisation und wer nicht? Am schnellsten bekommen die Beamten Antworten, wenn sie direkt zu den Yakuza gehen und fragen. Aber »The Cat« ist ein schlauer alter Fuchs, darum rückt er nicht einfach so mit der Sprache heraus. Er lässt das Material einfach im Büro herumliegen, und wir lesen es dann, während er telefoniert. Oder manchmal wirft er es in den Papierkorb, und wir nehmen es dann unauffällig mit. Er übergibt es uns nie selbst.«
    »Warum macht er das?«
    »Weil die Dinge eben so laufen. Er tut den Polizisten einen Gefallen, und dann haben wir auch keinen Grund, sein Büro zu durchsuchen, um etwas Brauchbares zu finden. Das klappt ganz gut so.«
    »Warum zapft ihr nicht einfach seine Telefone an?«
    »Wir sind nicht in Amerika, und wir sind nicht das FBI. Wir würden keine Erlaubnis bekommen, Wanzen zu installieren.«
    »Glauben Sie, dass er jemanden schmiert?«
    »Wenn er es tun würde, wäre er nicht so dumm, sich dabei erwischen zu lassen. Er ist der schlaueste Yakuza in der Organisation. Ich werde rauskriegen, was da läuft, und mich dann bei Ihnen melden.«
    Zwei Tage später rief er mich an. Die Gerüchte wurden von einem gewissen Yoshinori Saito verbreitet, der Nummer vier in der Sumiyoshi-kai. Saito hatte einem Beamten der Abteilung eins erzählt, dass Kaneko einen seiner Kollegen schmiere. Da er keinen Namen genannt hatte, war die ganze Abteilung in Aufregung und suchte fieberhaft nach dem Verräter.
    So weit, was die Polizei betraf. In puncto Yakuza war es so, dass sich Kaneko und Saito seit Langem nicht besonders gewogen waren. Vor Kurzem hatte Saito den LKW-Fahrern, die durch Saitama fuhren, Speed verkaufen wollen, aber Kaneko hatte damit nichts zu tun haben wollen. Denn Kanekos Chef, Nakamura, hatte offenbar in seiner Jugend Crystal Meth konsumiert, und Kaneko wollte seinen Chef nicht in eine Sache hineinziehen, die ihn womöglich zu seinen schlechten Gewohnheiten zurückgeführt hätte. Saito hatte das Gerücht absichtlich verbreitet, da er wusste, dass es Kaneko verdächtig machen würde. Offenbar hatte er nicht den Mumm, »The Cat« selbst herauszufordern, sondern zog es vor, dass die Organisation sich um ihn kümmerte.
    »Was soll ich Ihrer Meinung nach mit dieser Information anfangen?«
    »An Kaneko weitergeben, und zwar so schnell wie möglich.«
    Nach einigem Zögern erklärte ich mich damit einverstanden, Kaneko aufzuklären. Also rief ich in seinem Büro an und vereinbarte für denselben Abend ein Treffen.
    Es war eiskalt, aber das war auch schon egal, da ich sowieso schon vor Aufregung zitterte. Noch bevor ich an die Tür seines Büros klopfen konnte, öffnete Kaneko sie und forderte mich mit einer Geste auf einzutreten. Er trug Jeans und einen dunkelgrünen Pullover und sah wie ein Segellehrer aus.
    Ich setzte mich aufs Sofa, und diesmal trank ich den Tee. Dann erzählte ich »The Cat« alles, was ich wusste.
    Er nickte, während ich sprach. Seine Augen waren geschlossen, die Finger hatte er gespreizt auf den Tisch gelegt. »Ich danke Ihnen.
Dafür schulde ich Ihnen etwas«, meinte er dann.
    »Vielleicht steht es mir ja nicht zu, so etwas zu sagen«, erwiderte ich, »aber warum verlassen Sie nicht einfach die Organisation, anstatt sich mit diesem Mist herumzuärgern?«
    »The Cat« öffnete die Augen und holte tief Luft. »Schauen Sie mich doch an. Wenn ich so angezogen bin, sehe ich vielleicht aus wie jeder andere Geschäftsmann an seinem freien Tag. Aber wenn ich die Ärmel hochkrempele« – er tat es –, »dann ist dieses nette Bild zerstört.« Von den Handgelenken bis zum Oberarm war seine Haut über und über mit bunten, kunstvollen Tätowierungen überzogen.
    »Ich bin weit über 40 und habe mich selbst für immer gebrandmarkt. Ich habe keine Ausbildung, kein Diplom, bin weder sozial- noch krankenversichert. Ich habe nur Geld auf der Bank und diese Organisation. Wohin könnte ich gehen? Wenn ich fliehe, jagt mich die Sumiyoshi-kai und bringt mich um, weil sie mich für einen Polizeispitzel hält. Aber wenn ich bleibe, habe ich eine Chance zu überleben. Es ist vielleicht kein tolles Leben, aber ich bin nicht bereit, es wegzuwerfen. Darum werde ich mich um dieses Problem kümmern.«
    Ich dankte ihm für den Tee und wollte gerade gehen, als er mir die Hand auf die Schulter legte und mir in die Augen sah.
    »Sie haben mir das Leben gerettet. So etwas vergesse ich nicht. Wenn Sie irgendetwas brauchen – Informationen,

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