Tokio Vice
Schlacht, aber wir verlieren den Krieg.«
Hara dachte eine Weile über meine Worte nach, dann seufzte er: »Ich fürchte, den Artikel können wir nicht ignorieren. Ich kenne die Polizei. Sie werden ein bisschen verärgert sein, aber das legt sich bald. Fangen wir an, wir müssen die Morgenausgabe vorbereiten.«
Damit war die Besprechung beendet. Kobra hielt mich noch im Flur auf und sagte: »Danke, dass du das gesagt hast. Du verstehst mehr von der Arbeit mit der Polizei, als ich dachte. Du bist zwar schlampig und undiszipliniert und deine Texte sind schrecklich, aber du hast einen guten Instinkt. Vielleicht bist du ja doch kein hoffnungsloser Fall.«
»Danke.«
Yamamoto war im hinteren Teil des Büros. »Adelstein, du hast recht«, flüsterte er mir zu. »Es ist dumm, jetzt einen Artikel zu schreiben. Aber manchmal geht es eben nicht anders. Von jetzt an ist das die wichtigste Story, an der wir arbeiten. Deshalb bekommt jeder ein Opfer zugewiesen. Du musst alles über dein Opfer herausfinden: Woher kannte es Sekine, wann wurde es zuletzt lebend gesehen, was für ein Mensch war es, warum wurde es wohl ermordet und alles andere, was uns nützlich sein könnte. Wir brauchen Bilder, Kommentare, Zeugenaussagen, alles, was wir kriegen können. Da dein normales Einsatzgebiet das Dezernat für das organisierte Verbrechen ist, bist du der richtige Mann für den Yakuza Endo und seinen Fahrer Wakui. Beide werden vermisst. Von morgen an ist dein Leben Endos Leben.«
So begann mein Jahr des Hundes.
Unser erster Artikel über die vermissten Hundefreunde von Saitama erschien am Morgen des 19. Februars mit der Schlagzeile »Mehrere Hundefreunde in Saitama zwischen April und August vermisst. Ärger mit Verkäufen«. Der Artikel erschien in der Morgenausgabe, und alle anderen Zeitungen wussten jetzt, dass die Yomiuri in diesem Fall weit voraus war und sie sich enorm anstrengen mussten.
Leider stießen wir die Polizei mit dem Artikel total vor den Kopf, denn jetzt wusste Sekine, dass gegen ihn ermittelt wurde, und darum sank die Chance, dass er Fehler machte. Außerdem würde er jetzt eventuell wichtige Beweise vernichten.
Dass wir unser Versprechen gebrochen hatten, verzieh uns die Polizei nicht, das machte der Polizeichef Nakajima unmissverständlich klar, und Yokozawa, der kultivierte Leiter der forensischen Abteilung, setzte die Yomiuri nun auf seine persönliche Leckt-mich-Liste. Die anderen Zeitungen, die ebenfalls über den Fall berichteten, waren ihnen egal. Doch wir hatten als erste seriöse Zeitung einen Fall publik gemacht, der noch nicht reif dafür war. In ihren Augen wären wir daher allein schuld, falls etwas schiefgehen sollte.
Noch am selben Tag fuhr ich zum ersten Mal nach Konan, um Informationen über Endo zu bekommen. In Konan gab es eine riesige Fabrik, einen Golfplatz, eine Stadthalle, eine Grundschule, eine Mittelschule, eine Highschool, einen Lebensmittelladen und ein Familienrestaurant. Ansonsten noch viele Felder, ein wenig Landwirtschaft und wenig Möglichkeiten, etwas zu tun.
Als Erstes erkundigte ich mich bei der Feuerwehr nach Endo, denn ich wusste aus Erfahrung, dass Feuerwehrleute gesprächiger sind als Polizisten. So erfuhr ich, dass Endo vor seinem Verschwinden die Nummer zwei in einer Verbrecherbande namens Takada-gumi gewesen war – hinter einem gewissen Takada. Die Gang gehörte zum Inagawa-Clan. Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Leute, wenn überhaupt, mit einem Gemisch aus Furcht und Ehrfurcht über diesen Endo reden würden. Aber stattdessen lobten ihn alle und schienen sich sogar Sorgen um ihn zu machen.
Ein Feuerwehrmann meinte: »Endo ist ein großartiger Bursche. Er war nicht immer ein Yakuza, früher fuhr er LKWs. Ich habe ihm 1984 bei der Bürgermeisterwahl sogar meine Stimme gegeben.
Politiker sind ohnehin alle korrupt, also wählt man am besten einen, von dem man schon weiß, dass er korrupt ist. Vielleicht überrascht er einen dann und tut etwas Gutes.«
Was für eine verrückte Stadt war das bloß, in der ein bekannter
Yakuza als Bürgermeister kandidieren konnte? Doch immerhin hatte Endo nur 120 Stimmen bekommen und haushoch verloren. In der Stadthalle bekam ich eine Kopie des Fotos, das Endo anlässlich seiner Kandidatur eingereicht hatte. Er sah hart aus, hatte die tödlichen, starren Augen eines potenziell explosiven Yakuza und die leichte Dauerwelle, die den ländlichen Yakuza zu gefallen schien. Offenbar hatte er mehrere Nasenbeinbrüche hinter sich. Es war
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