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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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für geistesgestört, aber im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass er die Tat im Voraus geplant und eine psychische Erkrankung nur vorgetäuscht hatte, um nicht angeklagt zu werden.
    Erneut brachten die Leute Geisteskrankheiten mit Gewaltverbrechen in Verbindung, und Hamaya kämpfte weiter für ihre Überzeugung, dass unsere Berichterstattung dieses Vorurteil nicht fördern und nicht pauschal behaupten dürfe, alle psychischen Krankheiten seien vorgetäuscht, um einer Strafe zu entgehen. Das war sicher eine vernünftige Einstellung, aber sie löste in der Redaktion unvernünftige Reaktionen aus.
    Hamayas Artikel zu diesem Thema kamen bei einigen Chefredakteuren nicht gut an. Sie hielten die Leidenschaft, mit der sie für dieses Thema eintrat, für Aufsässigkeit.
    Am 12. September wurde daher in einer Besprechung bekannt gegeben, dass sie aus dem Ressort für Landesnachrichten mehr oder weniger hinausgeworfen und in die Personalabteilung versetzt worden war. Kikuchi, der Ressortleiter, hatte ihre Versetzung am 29. August verlangt. Als Hamaya sich von uns verabschiedete, war ihre Stimme so leise, dass man sie kaum hören konnte. Sie war den Tränen nahe, riss sich aber zusammen.
    An diesem Abend aßen Hamaya und ich in einem italienischen
Restaurant in Aoyama und sie erzählte mir, dass der Ressortleiter sie vor einem Monat angerufen und ihr mitgeteilt hatte, dass er sie zur Yomiuri Weekly versetzen werde. Als Hamaya gemeint hatte, dass sie bei den Landesnachrichten bleiben wolle, da sonst niemand mehr da sei, der über körperlich und geistig Behinderte angemessen berichten könne, habe der Chef sich über ihre Antwort wohl geärgert und sie als Aufsässigkeit betrachtet.
    Ein paar Tage vor der Redaktionskonferenz habe er sie zu sich gerufen und erklärt: »Sie verlassen das Ressort und gehen in die Personalabteilung. Entweder akzeptieren Sie das, oder Sie kündigen oder werden entlassen. Sie werden nie wieder als Journalistin arbeiten, solange Sie in dieser Firma sind. Das ist alles.«
    Dann schickte er sie ohne ein weiteres Wort weg.
    Es gab keine Begründung, keine Erklärung. Nachdem sie die Worte »Sie werden nie wieder als Journalistin arbeiten« wiederholt hatte, brach sie völlig zusammen und weinte heftig.
    »Hör mal«, versuchte ich sie aufzumuntern, »der Ressortleiter ist ein Idiot. Und er wird nicht ewig da sein. Warte einfach, bis er weg ist. Du bist eine gute Reporterin. Du wirst wieder schreiben. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
    Sie fragte, ob ich das wirklich glaube. Eigentlich glaubte ich es nicht, aber ich log, weil ich ihr nicht jede Hoffnung rauben wollte. Vielleicht hätte ich ihr die Wahrheit sagen und ihr raten sollen, die Yomiuri zu verlassen und für eine andere Zeitung zu arbeiten. Ich weiß es nicht.
    Es ist schwer, als Polizeireporter mit anderen Kollegen bei der Yomiuri in Kontakt zu bleiben, da man die meiste Zeit in der Zentrale der Tokioter Polizei verbringt. Hamaya zu treffen war noch schwieriger, da sie jetzt nicht mehr in meinem Ressort arbeitete. Dennoch blieben wir in Verbindung.
    Auf einer Party des Chefredakteurs der IT-Abteilung plauderten wir einige Stunden. Wir hatten verabredet, im Laufe der Woche zum Essen auszugehen, doch ich musste absagen, weil ich einen Artikel zu schreiben hatte. Sie schien enttäuscht zu sein. Als ich sie einige Tage später anrief, um einen neuen Termin zu vereinbaren, ging niemand ans Telefon.
    Das genaue Datum weiß ich nicht mehr, aber ich weiß noch, dass ich in der Firmenbibliothek einige Unterlagen kopieren musste und kurz ins Hauptbüro ging. Kikuchi, der Ressortleiter, saß mit einigen leitenden Angestellten an seinem Schreibtisch, und alle unterhielten sich in gedämpftem Ton. Auf dem Flur klopfte mir eine Kollegin auf die Schulter, lächelte und sah mich aufgeregt an, so als hätte sie etwas ganz Besonderes zu erzählen.
    »He, was ist los?«, fragte ich.
    Sie beugte sich vor und flüsterte: »Hast du schon das Neueste von Hamaya gehört?«
    »Nein. Ich hoffe, es sind gute Nachrichten. Kommt sie wieder zurück?«
    »Du hast also echt keine Ahnung?«
    »Ich habe seit voriger Woche nicht mehr mit ihr gesprochen. Nein, ich weiß wirklich nichts. Heiratet sie? Hat sie einen Freund? Klär mich auf.«
    »Sie hat sich umgebracht.«
    »Was?«
    »Es heißt, sie habe sich in ihrem Apartment erhängt. Ihre Eltern haben heute die Leiche gefunden. Die Wochenzeitschriften schnüffeln schon herum und stellen Fragen. Sei vorsichtig.«
    Ich

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