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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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war sprachlos. Mir war, als habe mir jemand unerwartet in die Magengrube geschlagen.
    »Bist du in Ordnung?«
    Sie musste mich vermutlich mehrmals fragen, bis ich antworten konnte.
    »Ja, es geht schon. Danke, dass du es mir gesagt hast.«
    »Tut mir leid. Ich dachte, du wüsstest es.«
    »Nein. Trotzdem danke.«
    Ich verabschiedete mich höflich, ging ins Badezimmer und übergab mich.
    Ich wünschte mir fast, dass ein Wochenmagazin mich anrief, dann hätte ich den Kollegen erklären können, dass Hamaya sich nicht selbst umgebracht hatte, sondern dass ein einziger Satz sie in den Selbstmord getrieben hatte: »Sie werden nie wieder als Journalistin arbeiten.« Für eine ernsthafte, engagierte Reporterin waren diese Worte ein Todesurteil.
    Ich ging zur Beerdigung. Es war ein schrecklich heißer Tag. Kikuchi war ebenfalls da, und obwohl ich wusste, dass es nicht seine Schuld war, hätte ich ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen. Ich konnte ihn nicht ansehen. Ich wollte auch nicht darüber nachzudenken, ob ich als Hamayas Freund versagt hatte. Ich war wohl so versessen auf einen Knüller gewesen, dass ich ihr vor ein paar Tagen vielleicht nur mit halbem Ohr zugehört hatte. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich aufmerksamer gewesen wäre oder sie früher angerufen hätte.
    Am nächsten Tag aß ich mit einer Kollegin in der Cafeteria der Polizeizentrale zu Mittag und berichtete ihr vom Begräbnis. Sie und Hamaya waren gut miteinander ausgekommen.
    »Weißt du«, sagte sie, »Hamaya war richtig gut zu mir, als ich in der Lokalredaktion anfing. Sie zeigte mir alles und brachte mir die ungeschriebenen Gesetze bei. Sie war die einsatzfreudigste, hingebungsvollste Reporterin, die ich kenne.«
    Ich bestätigte, dass ich die gleiche Erfahrung gemacht hatte.
    »Ja, und sie verstand ihr Handwerk. Umweltprobleme, psychische Krankheiten und die Probleme der Behinderten. Die Umweltschutzbehörde hat sogar ein Beileidstelegramm geschickt, das bei der Beerdigung verlesen wurde.«
    »Beim Begräbnis waren so viele Leute, die diese Frau beeinflusst oder beeindruckt hat. Sie war eine gute Reporterin.«
    »Tja, und zum Lohn für ihre harte Arbeit«, schimpfte sie, »hat man sie in die Personalabteilung abgeschoben, wo sie den vielen Neuen erzählen musste, was für eine großartige Zeitung die Yomiuri doch ist. Ich war bei einer dieser Aufmunterungsreden dabei, die unsere Neuen zu hören bekommen, bevor sie anfangen zu arbeiten. Einige wussten nicht einmal, dass Hamaya einmal Journalistin
war. In ihren Augen war sie nur eine Frau mittleren Alters aus der Personalabteilung.«
    Am Tag nach dem Begräbnis überprüfte ich mein geschäftliches
E-Mail-Konto, was ich eher selten tat. Hamaya hatte mir etwa zwei Tage vor ihrem Tod eine Nachricht geschickt. Ich habe sie nie gelesen. Ich hatte nicht den Mut dazu. Ich habe wohl immer noch eine Kopie davon auf irgendeiner Festplatte, aber ich werde sie nicht suchen.
    Manche Dinge bereut man ewig: die eine E-Mail, die man nie gelesen hat, den schlechten Rat, den man erteilt hat, oder den Telefonanruf, den man hätte machen sollen … Und es bleibt die traurige Erinnerung an Freunde, die man möglicherweise hätte retten können.

Der Kaiser der Kredithaie
    Nachdem ich über IT-Kriminalität geschrieben hatte, wollte ich unbedingt wieder über das »richtige« Leben berichten. Darum tauchte ich am 1. August 2003 fünf Minuten vor zehn vor dem Tor der Tokioter Polizei auf. Die Wache beäugte meinen Ausweis zwar misstrauisch, winkte mich dann aber durch. Der Presseclub hatte sich kaum verändert: überall Müll, ernste, hart arbeitende Leute – nur die Besetzung war ein wenig anders.
    Okubo-san – wegen seines Babygesichts und den runden Brillengläsern auch Harry Potter genannt – lag auf dem Sofa. Er winkte mir zur Begrüßung zu, setzte sich auf und beauftragte einen Jungreporter, uns Kaffee aus dem Automaten zu holen.
    »Willkommen zurück, Jake. Schön, dass du heil hereingekommen bist. Hat die Wache keinen Gaijin -Alarm geschlagen?«
    Ich lachte. »Nein, aber sie stand kurz davor.«
    »Wir haben uns schon Sorgen gemacht«, meinte er ebenfalls lachend, »aber wir wussten ja, dass dich nichts aufhalten kann. Also, du arbeitest mit Chuckles zusammen. Sie ist für die Abteilung öffentliche Sicherheit zuständig. Du wirst sie unterstützen und teilweise auch über das organisierte Verbrechen berichten. Sobald sie zurückkommt, bringt sie dich auf den neusten Stand.«
    »Okay, alles klar.

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