Tokio Vice
man keinen Unterschied zu irgendeinem anderen Laden, der Konsumentenkredite anbot. Die Kunden wurden von attraktiven Frauen empfangen und erhielten Kredite, die sie nirgendwo sonst bekommen hätten, oft allerdings zu einem sehr hohen Zinssatz, genauer gesagt zu einem Zinssatz, der 10- bis 1250-mal höher war, als das Gesetz es erlaubte.
Wenn ein Kunde dann seine Raten nicht pünktlich zahlen konnte, klopften Kajiyamas Geldeintreiber an die Tür mit den üblichen Drohungen: »Du willst wohl sterben?«, »Soll deine Familie für dich blechen?«, »Soll ich dich mal besuchen und das Geld aus dir herausprügeln?«.
Meist mussten die Geldeintreiber nicht wirklich Gewalt anwenden, aber sie waren so hartnäckig – sie schüchterten den Schuldner ein, tyrannisierten seine Frau, riefen seinen Arbeitgeber an –, dass sie manche Menschen in den Selbstmord trieben.
Ich war überzeugt davon, dass Kajiyama ein Yakuza war, aber als ich den Dezernatsleiter danach fragte, druckste er nur herum und wollte mir keine klare Antwort geben. Er meinte nur, dass seit dem Erlass der Gesetze gegen das organisierte Verbrechen die meisten Yakuza nicht mehr ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe auf ihren Visitenkarten angaben, was es erschwerte, jemanden als Yakuza zu identifizieren.
Was immer auch Kajiyama war, er hatte auf jeden Fall großen Erfolg. Er lebte in einer Wohnung, die er für 900 000 Yen (etwa 9000 Dollar) im Monat gemietet hatte. Und obwohl er die Stadt verlassen hatte, als die Polizei ihm auf den Fersen war, wurde die Miete für das Apartment weiter bezahlt.
Auch während die Pressekonferenz im Gange war, sammelte die Polizei Beweise in mehreren Büros, die Kajiyama gehörten. Die Ermittler brachte dies einen großen Schritt nach vorne.
Als Chuckles in den Presseclub zurückkehrte, schickte sie mich in ein Büro in Shinjuku, wo gerade eine Polizeirazzia stattfand. Sie wollte Fotos davon, also machte ich mich auf den Weg.
Am Schauplatz der Razzia schoss ich einige verschwommene Fotos von grimmig blickenden Polizisten in Zivil – insgesamt elf –, die mit Kisten voller Unterlagen aus dem Haus kamen.
Eigentlich hatte ich so ein gutes Leben: Ich unterstützte Chuckles und wurde gelobt, wenn ich etwas Brauchbares ablieferte, aber ich wurde nicht zur Verantwortung gezogen, wenn ich nichts brachte. Doch irgendwie juckte es mich in den Fingern, denn Kajiyama interessierte mich. Ich wollte mehr über ihn wissen. Er war ein schlauer Krimineller, der ein Imperium aufgebaut hatte – das war genug Stoff für eine ganze Fernsehserie.
Also rief ich Noya an, einen pensionieren Kripobeamten, dem ich einmal einen großen Gefallen getan hatte, und lud ihn zum Abendessen ein. Noya war ein Veteran im Bereich organisiertes Verbrechen, und ich ging davon aus, dass ich mit Unterstützung einer schönen Europäerin etwas erfahren würde, selbst wenn ich selbst derzeit keine Informationen über Kajiyama zu bieten hatte.
Und ich irrte mich nicht.
Sobald Lily, die Estländerin, die auf seinem Schoß Champagner genippt hatte, ihren Platz verlassen hatte, berichtete Noya: »Susumu Kajiyama. Erfolgreicher Yakuza. Mitglied seit den Siebzigerjahren. Zwölf Festnahmen. Zum ersten Mal verhaftet im März 1974 in der Präfektur Shizuoka wegen Körperverletzung. Hat nicht gesessen, sondern kam mit einer Strafe von 50 000 Yen (nur 500 Dollar) davon. Nächste Verhaftung zwei Jahre später wegen Erpressung. War ein Jahr im Knast. Von 1979 bis 1983 saß er wegen Konsum oder Verkauf von Methamphetamin – genau erinnere ich mich nicht. Nach seiner Entlassung zog er nach Tokio. Ich vermute, dass er für die Goto-gumi gearbeitet hat.«
Die Goto-gumi. Das war das erste Mal, dass mir der Name wirklich bewusst unterkam. Natürlich wusste ich ungefähr, worum es sich handelte, aber ich ahnte noch nicht, wie wichtig dieses Thema für mich werden sollte.
»Gibt es denn eine Verbindung zwischen Kajiyama und Goto?«, fragte ich.
Noya war sich nicht sicher, aber er mutmaßte es. »Goto-gumi war an vorderster Front beteiligt, als die Yamaguchi-gumi nach Tokio vordrang. Diese Gruppe hat das Fundament errichtet, die Infrastruktur. Wenn Kajiyama 1983 in Tokio gearbeitet hat, dann war er wahrscheinlich ein Lakai der Goto. Wie dem auch sei, er wurde 1984 wegen versuchter Erpressung, 1985 wegen des Besitzes oder der Verteilung von Marihuana und 1989 wegen Körperverletzung verhaftet. 1990 wurde er wegen Verstoßes gegen das Geldanlagegesetz zu einer Geldstrafe
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