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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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Minderheit in der Redaktion angehörten. Seit Anfang 2000 arbeiteten wir oft zusammen. Für mich war sie fast eine Art ältere Schwester.
    Hamaya hatte eine Frisur wie die Beatles und eine Stupsnase. Meist trug sie Hosen und ein Hemd wie ein Mann. Sie war zäh und arbeitete hart, so wie jede Frau in der Redaktion für Landesnachrichten. In der ganzen Redaktion war ein gewisses Machogehabe verbreitet, und es gab nur wenige Frauen. 2003 waren nur 6 oder 7 von 100 Reportern Frauen. Um in der Redaktion zu überleben, mussten diese Frauen sich mit den gleichen unzumutbaren Arbeitszeiten abfinden wie die Männer. Aber man erwartete auch von ihnen, dass sie ihren Kollegen bei geselligen Veranstaltungen Getränke einschenkten, und sie durften sich nie beklagen. In vielerlei Hinsicht mussten sie sogar härter arbeiten als Männer.
    Ein ganz bestimmter Telefonanruf besiegelte dann unsere Freundschaft endgültig.
    Ich war für die Tagesschicht eingeteilt, was im Wesentlichen bedeutete, dass ich im Büro saß, das Telefon bediente und darauf wartete, Panik zu verbreiten, wenn doch einmal etwas passierte. Damals gehörte ich zur yu-gun (Reserve), einer Eliteeinheit der Redaktion, die für Schlagzeilen zuständig war und die Freiheit besaß, über fast alles zu schreiben, was in einer Sauregurkenphase nur interessant sein konnte. Außerdem oblag es mir, für die Artikelserie »Sicherheitskrise« zu schreiben, in der es darum ging, wie und warum die Zahl der Straftaten in Japan zunahm und was dies für das Land bedeutete. Obwohl diese Zahl immer noch lächerlich gering war, war die Aufklärungsquote der Polizei bei manchen Delikten jämmerlich. Und das war ein heißes Thema.
    Der Tag war ruhig und langweilig, und nichts Wichtiges zeichnete sich am Horizont ab. Dann klingelte das Telefon. Am anderen Ende war ein wütender Fan der Yomiuri Giants, der mir mitteilte, dass er den damaligen Trainer nicht gut fand. Ich erklärte ihm, dass wir für die Nachrichten zuständig seien, nicht für den Sport, und auch nicht die Manager der Yomiuri Giants seien. Dann bat ich ihn, doch woanders anzurufen.
    Nachdem er mir seinen Namen genannt hatte, wollte er auch meinen wissen. Ich tat ihm den Gefallen, sprach meinen Namen aber japanisch aus: »Jei-ku A-de-ru-su-te-in.«
    Der Anrufer war nicht zufrieden. »Soll das ein Witz sein? Wer zum Teufel sind Sie?«
    »Ich bin Reporter bei der Yomiuri . Und Ausländer.«
    »Sie sind kein Ausländer. Sie sind eine Maschine, die Anrufer täuschen soll, damit sie auflegen.«
    »Ich versichere Ihnen, dass ich keine Maschine bin. Ich bin ein Mensch, ein nichtjapanisches menschliches Wesen.«
    »Ein Ausländer, was? Kein Wunder, dass Sie nicht verstehen, was ich sage. Holen Sie jemand anderen.«
    Die einzige Person in der Nähe war Hamaya. Sie nickte und bat mich, ihr den Hörer zu geben.
    »Hallo, hier ist Hamaya. Ich glaube, Jake hat Ihnen schon alles Nötige gesagt.«
    Jetzt schäumte der Anrufer vor Wut. »Zuerst ein gaijin und jetzt noch eine Frau! Holen Sie mir einen Mann ans Telefon!«
    »Tut mir leid«, säuselte Hamaya mit zuckersüßer Stimme. »Die Einzigen, die heute arbeiten, sind Ausländer oder Frauen. Oder ausländische Frauen. Ich fürchte, wir können Ihnen wirklich nicht helfen.«
    Hamaya gefiel mir.
    Immer wenn ich einen Artikel einreichte, den ich selbst geschrieben hatte, schaute Hamaya ihn sich vorher an und machte Vorschläge. Die Regeln für Standardartikel und gründliche Analysen waren ganz unterschiedlich, und ich musste mich sehr anstrengen, alles zu beachten.
    Sie hatte Sinn für schwarzen Humor und eine nette, sanfte Art, mich zu kritisieren, vor allem wegen meiner unmöglichen Tischmanieren. Sie war nicht besonders hübsch, aber eine jener Frauen, die auf mysteriöse Weise umso attraktiver werden, je länger man sie kennt.
    Hamaya und ich wurden dem Team zugewiesen, das über Informationstechnik schrieb. Japan befand sich mitten in einer IT-Phase, und Wörter wie »Internet«, »Hacker« und »Computervirus« waren in aller Munde. Die IT-Mannschaft war aus allen anderen Ressorts zusammengewürfelt, also Wissenschaft, Wirtschaft, Unternehmensberichte und Kultur. Ich hatte den Auftrag, über die Schattenseite der Branche zu schreiben: Viren, Hacker, Internetbetrug, illegaler Internethandel, Kinderpornografie, die Ausbreitung der Yakuza in diesem Bereich, Missbrauch von Prepaid-Handys und alle anderen Themen, die einigermaßen unerfreulich waren und etwas mit den neuesten technischen

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